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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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sich nicht für mich. Ich kannte ihn. Es hieß, er hätte seinen Verstand verloren, er steckte sich lange
     Papierfetzen in den Mund, zerkaute und spuckte sie aus. Also, ich ließ ihn stehen. Wer mit den falschen unguten Leuten ins
     Gespräch kam, ging unter, eine knappe Woche, länger dauerte es nicht. Ich haßte Weisheiten, aber die Praxis war stärker. Ich
     haßte es, wenn Menschen mir zu nahe kamen, aber ich verteilte für einen Geldschein Werbezettel, und ich konnte es nicht verhindern,
     daß ein Mieter am Briefkasten mir begegnete. Heute war ich allein an den Briefkästen, und da entdeckte ich an der Wand von
     der ersten Stufe bis zur Toilette auf halber Treppe eine Schlangenlinie. Eine Frau hatte dies Zeichen angebracht, da war ich
     mir sicher: Sie zückte ihren Lippenstift, und während sie die Treppen hochstieg, malte sie den Wurm mit Gänsehaut an die Wand,
     sie rächte sich, weil sie vergeblich auf den Aufzug hatte warten müssen. Eine Weile starrte ich hin, dann warf ich die Prospekte
     ein. Und weg war ich. Mein Herz, das klopfte, ich lüftete ein Geheimnis, und es klopfte und schlug mir gegen die Brust. Viele
     Häuser klapperte ich ab, ein Gruß dem Fremden hier, ein Gutentagwunsch dort, ich lächelte nur, damit sie sich ungefährdet
     fühlten. Eine Frau, ich sah sie wieder, dunkelbrauner Haaransatz, sie mußte sich die Haare wieder färben lassen. Und sie sagte:
     Sie können mir das Heft gleich so geben, ich blättere unterwegs darin. Das tat ich, ich kannte sie, eine Dame mit einer Vorliebe
     für Haarspray, wahrscheinlich haßte sie es, wenn ihr die Strähnen ins Gesicht geweht wurden. Siefragte mich, wie ich meine freie Zeit verbrachte, ein Lächeln hätte sie beleidigt, und ich sagte: Herumstreifen. Hemden Hosen
     Zeug bügeln. Ich bügele anderer Leute Kleidersachen für bißchen Geld … Sie machte einen Schritt auf mich zu, es beängstigte
     mich nicht, daß sie jetzt in meiner Nähe war, und da sie schwieg, erklärte ich meine Geschäftsbedingungen: Damit mein Kunde
     Vertrauen faßt, überließ ich ihm für zwei Tage meinen Paß, ich brachte ihm die gebügelte Wäsche zurück, wir tauschten Paß
     gegen frische Wäsche, und später wollte der Kunde auf die Sicherheit verzichten, doch blieb ich eisern bei meiner Regel …
    Die Frau streckte die Hand aus und stellte sich als Franziska vor, ich drückte ihre Hand und bot ihr meine Dienste an, selbstverständlich
     würde ich als Mann nur Wäsche von ihr annehmen, die das äußere Erscheinungsbild ausmachte. Sie verstand, ich verstand. Am
     Abend sollte ich wiederkommen. Und in der Zwischenzeit? In der Zwischenzeit traf ich einen Sonderling, bleich, eine Kerbe
     an der Stirn, dort wo zwei kleine Adern wie zwei Seitenarme im Fluß mündeten. Man dachte an eine Wünschelrute, und tatsächlich,
     der Mann war dafür bekannt, daß er Freunden und Fremden etwas zurief. Meist rief er: Langer Tag heute – wünsch dir was! Er
     konnte Lippenlesen, keine Lüge. Wenn man nicht stumm einen Wunsch aufsagte, ging er einem fast an die Kehle. Er ließ mich
     vorbeiziehen, weil mir die Mißbilligung wie ein Geruch anhaftete. Besser mich nicht anfassen. Besser wegsehen. Noch eine zweite
     Bockwurst, ich aß sie unbehelligt im Stehen. Und dann trat ich in ihr Haus Nummer hundertzweiundsechzig ein, in meiner Hand
     vier gefaltete große Plastiktaschen. Ihre Wäsche, Blusen, Oberhemden, Stoffhosen, lag im Bastkorb. Ich übergab ihr den Paß,
     und sie aber stutzte. Wollen wir es vielleicht anders machen? sagte sie, hören Sie, ich weiß, Sie haben Ihre Prinzipien, ich
     bin ein sehr vorsichtiger Mensch und lasse keine fremden Männer in meine Wohnung hinein.Aber diesmal mache ich eine Ausnahme. Ich habe ein Bügelbrett und ein Bügeleisen, Sie kommen einfach zu mir hoch und bügeln.
     Ich koche für uns einen Kaffee … Bitte mit Milch und viel Zucker, sagte ich.
    Sie stieg die Treppen vor mir her, ich trug den Korb und heftete den Blick fest auf den Boden, nein, auf die Treppenstufen,
     nein, auf ihre Füße, nein, auf ihre Füße in den Schuhen auf hohen Absätzen. Ich sah entlang des Schuhrands am Spann einen
     durchsichtigen Stoffsaum, nein, es waren transparente Ballenpolster, die in Füßlinge eingenäht waren. Viele Jahre als Kassierer
     gearbeitet, ich kannte die Regale, vor denen die Frauen standen und staunten. Die Nadel stach durch den Stoff, und die Nadel
     mußte durch alle Knopflöcher, dachte ich, die auf dem Wäschestapel im Korb obenauf

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