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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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liegende Bluse hatte Knöpfe in zwei verschiedenen
     Farben. Sie hatte die abgefallenen Knöpfe durch andere ersetzt und sie … sehr ungewöhnlich fest angenäht. Der Stoff knitterte
     um zwei Knöpfe, ich konnte die kleinen kurzen Falten nicht ausbügeln. In ihrer Wohnung. Ich war verschämt, und sie bemerkte
     es und lächelte, sie sagte: Sie können entweder wieder in ihre Straßenschuhe schlüpfen, oder Sie gehen sich die Füße waschen.
     Aber bitte im Waschbecken – kriegen Sie die Füße so weit hoch? Auf dem Grund der Badewanne lagen hautfarbene Strumpfhosen,
     sie hatte sie in Seifenlauge eingeweicht. Das Blut schoß mir wegen meiner Scham in den Kopf. Wieder im Wohnzimmer, nasse Füße,
     der Becher Kaffee auf dem Tisch, das Bügelbrett aufgestellt, die Kontrollampe des Bügeleisens leuchtet rot. Ich fange an,
     und bald saß sie auf dem Sessel und schaute mir zu. Ich hatte sie um Kleiderbügel gebeten, und bald waren über fünf Bügel
     Blusen gestülpt. Ich fragte, ob ich eine kurze Pause einlegen dürfe, und statt einer wirklichen Antwort sagte sie: Sind Sie
     von allen verlassen worden? … Hab’ es verwunden, sagte ich, keine große Geschichte …
    Es gab Männer, die mit der Wand sprachen. Es gab Männer, die Suppentüten kauften, nur um den Tütenrand mehrfach umzufalten und mit einer Wäscheklammer festzumachen. Eine Ordnung,
     die keine Ordnung war. Und in meiner Ordnung durfte es nur wenig Kopfzerbrechen geben. Sie hörte mir zu, vielleicht lauschte
     sie auch nur dem Klang meiner Stimme. Kaum ein Durchkommen, oder doch? sagte sie und erzählte von dem Arzt, den sie wegen
     ihrer Flugangst aufsuchte, nach etlichen Therapiestunden hatte sie es aufgegeben, er war schon großartig in seinem Fach, nur
     sie war … ein Seelenbiest … Wußte ich, wovon sie sprach? Ja, doch, sagte ich, wenn ich mit Ihrem letzten Wäschestück fertig
     bin, wollen Sie, daß ich sofort Ihre Wohnung verlasse? Oder sollen wir uns unterhalten? … Nur, wenn Sie nicht auf komische
     Gedanken kommen, sagte sie.
    Dann sprachen wir miteinander, trockene Füße, gute Arbeit getan, diese Gedanken, schöne Gedanken, Blusen Oberhemden Hosen
     aufgehängt. Frische Wäsche. Ein bißchen schlecht war mir, ich hatte Hunger und traute mich nicht, es zuzugeben. Ich habe einen
     Schlag auf den Kopf gekriegt, sagte ich, ich war der falsche Kassierer an der falschen Kasse, der Junge, der das tat, wurde
     schnell geschnappt. Ich im Krankenhaus, lag wochenlang im Einzelzimmer. Bin genesen. Seitdem hält sich mein Kopf an zwei Geschwindigkeiten.
     Mal bin ich langsam wie kurz vor dem Einschlafen. Mal bin ich schnell, als hätte ich nur soundso viele Minuten zu leben. Hab’s
     verwunden, hab’s überwunden. So einer wie ich, der gilt bei den meisten als einer mit einem Dachschaden. Der Schaden wurde
     repariert. Kopf geflickt. Ist ein paar Jahre her … Was bekommen Sie für das Bügeln? sagte sie, wir haben vergessen, einen
     Preis auszumachen … Und sie gab mir vierzig Euro.
    Ich steckte das Geld schnell ganz schnell ein, und in meinem Bauch verquollen Angst und Freude miteinander, ganz plötzlich,
     die Angst des Mannes vor der Gunst der Frau mischte sich mit der Freude des Mietbüglers über die vornehmgeschminkte Kundin. Hatte den Kaffee kalt werden lassen, erstaunt über die vollgeschriebenen großen kleinen gelb-weiß gestreiften
     Notizzettel, ich erlaubte mir, mich umzuschauen: Ein Lotterleben führte sie nicht, an den Mappen der Hängeregistratur kein
     Staub, Bücher, einige wenige, in kleinen Stapeln über die Wohnung verteilt, an den Wänden hing kein einziges Bild, an zwei
     Wänden Zettel und Zettel und Zettel, ihre Handschrift wie Gerstenkörner im flauen Wind. Ohne um Erlaubnis zu fragen, stand
     ich auf, trat an eine Wand heran. Konnte ihre Schrift entziffern, über zwei nebeneinanderhängenden Zettel hatte sie folgendes
     geschrieben:
    SCHLEHEN: Früchte so lange an Strauch lassen, bis sie reifen. Vorsicht, die Vögel, man muß den Vögeln zuvorkommen. Sie sind
     die natürlichen Konkurrenten bei der Schlehenernte!
    Schlehenmarmelade: Wichtige Zutaten sind Kandis und Vanillestangen.
    Was tat sie wohl gerade jetzt hinter meinem Rücken? Ich spürte es, sie fühlte sich unwohl, und bevor sie ihre Freundlichkeit
     bereute, kehrte ich zu meinem Sitzplatz zurück, faltete die Plastiktüten und schlüpfte in meine Schuhe. Füße trocken. Danke
     für den Kaffee, sagte ich, danke für die Arbeit – genießen Sie Ihren Abend

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