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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Rollkoffer, vielleicht brauchten sie beide ein bißchen mehr Glück, um das richtige Geschäft auf Anhieb
     zu finden. Lange nach Mitternacht hatten sie den Trommelgeräuschen aus dem Mauerpark gelauscht, gestern nach dem Unwetter,
     und ein heller Bodensatz war aufgequirlt worden, dachte er, ein Kellergeist hatte trocken lachend hochgefunden, dachte sie.
     Müde war die Welt um sie herum, die Kopf an Fuß auf alten Kneipensofas liegenden Betäubten, die Händler von Kunstledertaschen,
     kleinen Elektrogeräten, Mozzarella-Tomaten-Brötchen und von Hauptstadt-Schnickschnack, sie alle sahen aus wie eingefroren
     in einer Ruhepause. An den Waren hingen Pappschilder mit durchgestrichenen Originalpreisen, an die große Gunst der Stunde
     glaubte zwar keiner in dieser Einkaufshalle, aber man kaufte ein, mehr als man nach Hause tragen konnte. Für einen Koffer
     im Angebot legte Ferda einen großen Geldschein auf die Münzschale, er drückte auf den Knopf in der Mitte des Griffes und fuhr
     ihn aus, er rollte den leeren Koffer auf dem Rückweg hinter sich her, über das Pflaster, über Betonplatten, über Kies und
     nasse Erde, die Windstöße wirbelten altes Laub hoch bis über die Dächer, und ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen können.
    Später saßen sie im Saal des Lichtblickkinos, der Vorführer hatte den Koffer in Verwahrung genommen, und bevor das Licht erlosch,
     ließ Ferda den Blick schweifen, sechs Reihen mit je vier Sitzen, und drei Reihen mit je drei Sitzen, das machte insgesamt
     dreiunddreißig Sitze, er zählte sich von der Verlegenheit los und versuchte dann, den auf hochhackigen roten Schuhen tänzelnden
     Künstler zu verstehen, der vom Bühnenrand herabzufallen drohte. Ein wenig Licht erhellte das Kreisrund der Stelle, an der
     er stand, erbost über die Zurufe warf er den Mikrofonständer um und ging hüftwackelnd nach hinten ab. Ein Film über den skandalösen
     Auftritt einesFilmschauspielers – es beeindruckte Ferda nicht. Aneschka aber glaubte, einen Helden der heilen Welt deutscher Menschen entdeckt
     zu haben, in dieser heilen Welt ging ein böser Wolf herum und fraß ein Mädchen, ein Zweig, auf dem ein schwerer Vogel saß,
     zerbrach, im Sturz streifte der Vogel andere Zweige, und sie wippten in der kühlen Nacht, und ein starker Mann im Wald erschrak
     beim Anblick der wippenden Zweige, er machte kehrt, saß dann am Kamin, und die in den Flammen knackenden Scheite beruhigten
     ihn nicht: Er träumte schlecht, in den nächsten sechs Tagen träumte er gut.
    Kaum waren sie draußen, vergaßen sie die Bilder im dunklen Kinosaal, Ferda gab den neuen Koffer beim Nachtpförtner ab, und
     schon eilten sie weiter und weiter, sie fuhren eine kurze Strecke, stiegen an der richtigen Haltestelle aus, verweilten kurz
     vor dem Treppenaufgang des Bahnhofs, es störte sie sehr, daß der Wind ihren Kleidersaum aufwehte und das Wasser der Pfützen
     durch die dünnen Schuhsohlen drang, sie gingen hastig durch die Oranienstraße. Die heile Welt der Kreuzbergmenschen, dachte
     Aneschka, sie ist mit meiner kleinen Welt verwandt. Sie traten in ein Café, dessen Angestellte am Vortag das Einjahresjubiläum
     gefeiert hatten, sie bestellten irgend etwas Billiges, und da sah Ferda einen andersartigen Menschen vor dem Kühlschrank in
     die Hocke gehen und zu den Bierflaschen im untersten Fach greifen, das lange, schlecht gefärbte Haar zum Ballerinaknoten hochgesteckt,
     das gelbbraun gepuderte Gesicht halb zugewandt halb abgewandt, Bartschatten am Kinn und an den Wangen. Ein Fraumann. (Dieser
     Mann mit der Körperlust einer Frau gibt sich Männern hin, die bei geschminkten femininen Männern kein so großes schlechtes
     Gewissen empfinden. Der Hauptliebhaber des Fraumannes hat zugesehen, wie das Mannweibchen Milch in eine dünnwandige Tasse
     schüttete, um erst dann Tee nachzugießen, dies war keine Feinheitsgeste,das verstand er in jenem Augenblick, der heiße Tee hätte das zarte Trinkgefäß bersten lassen. Der Fraumann war stolz auf
     seine dünnen Fesseln und Handgelenke, er träumte sich in hautengen kurzen Röcken, er mußte aber Schuhe der Größe fünfundvierzig
     tragen, und also weigerte er sich, das Tablett mit den bestellten Getränken zu den Tischen zu tragen – sie alle starrten ihn
     an, starrten seine großen Füße an.)
    Aneschka trat hinaus und zündete sich eine Zigarette an, und als sie den Rauch zur Abwechslung durch die Nase ausstieß und
     dem Rauch hinterhersah, entdeckte er den

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