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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Gartenschläuche entrollten, um ihre Hunde und Katzen
     naß zu spritzen. Fast wäre heute wieder ein alter Mann ertrunken, fuhr sie fort, er schwamm hinaus aufs offene Meer, ein Krampf
     am Bein, und er ging unter, doch der Rettungsschwimmer ist ihm vorsichtshalber hinterhergeschwommen, er hat ihm an Land fast
     zwei Liter Wasser aus den Lungen gepumpt – der Alte hat zwar Stinktieraugen, aber Güte in seinem Herzen, so viel Güte, daß
     zehn Negerkinder unter ihrem Rock Platz finden. (Ferda hat sie oft gebeten, das Wort ›Neger‹ nicht mehr in den Mund zu nehmen,
     sie aber spricht jedesmal: An dem Tag, an dem du mir ein Negerfrollein als meine Schwiegertochter vorstellst, werde ich Fingerzimbeln
     anlegen und vor Freude nackt, nein in Unterwäsche, vor den Nachbarn tanzen … Sie ist meist am Schwanken, was sie für die Wahrheit
     ausgeben soll, und sie findet es nicht lohnend, ihrem Sohn die Wucht der Geschehnisse zuzumuten. Er scheint müde zu sein wie
     ein Aushilfsarbeiter, nein, wie ein junger Soldat, der mit dem Gedanken spielt, denEtappenposten zu verlassen. Folgendes ist geschehen: Eine kleine Erschütterung hat die Vase erst zum Wackeln, dann zum Fallen
     gebracht, die Erde bebte an der Küste nach, in der alten Reichshauptstadt Istanbul schaukelten die Deckenlampen hin und her,
     und also gingen die Blicke der Alten vom Turmschatten hin und her – die Angst brannte in ihren Bäuchen. Doch vom unfesten
     Boden spricht die Mutter nicht, es wird den Sohn nicht davon überzeugen, die Schuhmacherei aufzugeben.)
    Auf zwei Straßenseiten standen sie einander gegenüber: ein Mann, dem seine ehemalige Freundin seine vermeintliche Mutterhörigkeit
     zum Vorwurf gemacht hatte, und die Frau mit dem tschechischen Ausschnitt. Er glaubte, daß die Tschechinnen zuviel Brust vorzeigten,
     sogar der Fraumann schielte auf ihre blanke Haut, und obwohl er das Telefongespräch nicht beendet hatte, schrie er plötzlich
     hinüber, er schrie: Dann zeig doch dein Fleisch vor! Sie schrak zusammen, ging hinein, kam mit ihrer Tasche wieder zurück
     und lief in großen Schritten davon. Der Blumenhändler in der Kreuzberger Adalbertstraße bot Autoschmuck und Autogestecke,
     Grabsträuße und Grabgestecke und Brautsträuße an, man konnte bei ihm aber auch einfach Blumen kaufen, im Vorbeigehen schnappte
     sich Ferda wahllos zwei fast verblühte kleine gelbe Rosen und eilte Aneschka hinterher. In seiner Verwirrung fiel ihm nicht
     ein, die Verbindung zu kappen, seine Mutter rief immer wieder, was in Gottes Namen er denn wieder anstelle, er verstand sie
     und wollte ihr auf keinen Fall antworten. Da verhielt er im Lauf, ließ die Blumen zu Boden fallen und bog in eine Seitenstraße,
     auf der ihm behinderte Männer und Frauen entgegenkamen, er schmiegte sich aus Angst an die Hauswand, und weil die Aufseherin
     seine Angst roch, die Angst, von einem nicht zurechnungsfähigen und robbenhaft grinsenden Mann angefallen zu werden, weil
     er an ihm die Niedertracht der Unversehrten erkannte, bellte sie ihn an,zwei Male. Sie ermahnte die Nachzügler nicht, zur Gruppe vorzustoßen, und sie blieben auf Ferdas Höhe einfach stehen, sie
     zupften lustlos an ihren Kleidern, die man ihnen morgens ebenso lustlos übergestreift hatte, einer von ihnen trat ungelenk
     auf der Stelle, die Aufseherin verhinderte, daß er lang aufschlug. Ferda fragte sie, wieso sie ihn angekläfft hätte, sie starrte
     auf das Mobiltelefon in seiner Hand und lauschte der Frauenstimme, eine Frau stieß in einer ihr unbekannten Sprache Verwünschungen
     aus, doch bevor sie sich weitere Gedanken machen konnte, zog der robbenköpfige Mann an ihr, sie ging weiter und bellte kein
     drittes Mal. Vielleicht mußte er einfach durch die kleinen Straßen des Viertels laufen, und er fände sie. Vielleicht würde
     sie dann auf einer regengeschützten Terrasse sitzen, ihren Terminkalender aufgeschlagen haben und darin langsam blättern,
     sie liebte die Zahlen null, sechs, acht und neun, sie malte den gähnenden Mund der Null aus, sie bemalte das Wänstchen der
     Sechs, die zwei küssenden Doppelschleifen der Acht und die hängende Nase der Neun. Bestimmt sah er sie wieder, heute nacht.
    Ich bin dir gefolgt, sagte eine Stimme hinter ihm, er drehte sich um und roch das Puder des Transvestiten, er widerstand dem
     Drang, ihm vor Wut ins Gesicht zu schlagen. Wieso stand er so dicht bei ihm, er wünschte seiner aufgebrachten Mutter eine
     gute Nacht und drückte auf die rote Taste.

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