Hinterland
Er hörte sich seltsamerweise sagen, was er denn für Sorgen hätte, der Transvestit
versuchte ihn daraufhin an der Wange zu streicheln, Ferda ruckte zurück und schlug seine Hand weg, die siehst du nicht so
bald wieder, sagte der Gepuderte, ich bin dir gefolgt, weil du mich vorhin beobachtet hast, ich habe deine Blicke gespürt
… Ich bin keiner von deiner Sorte, sagte Ferda, laß mich in Ruhe … Und Tööö sprach einfach weiter, er sprach von seinem Namen,
von den drei Nullen mit Umlaut, von den Männern, die Männer bleiben durften, auch wenn sie ihn begehrten, er sprach davon,
daß er sogar einige wenigeDankesbriefe in einer Schreibtischschublade aufbewahrte, von Männern geschrieben, die sonst Frauen nachpfiffen, was also
sollte ihn, den Nachtgeist, daran hindern, mitzukommen. Noch nie war Ferda ein solches Liebesangebot gemacht worden, seine
Wut verrauchte, und er sagte, sanfter als er es sonst getan hätte, daß dies ein Mißverständnis wäre, er wollte T mit den vielen
Punkten über den Vokalen ganz bestimmt nicht kränken, seine Gene, seine Veranlagung, seine Lust sähen nun einmal vor, daß
er gebürtige Frauen begehrte.
Sie fuhr mit der S-Bahn zurück und dachte nach: Über diese Nacht in Kreuzberg, da sie sich über die fremden Deutschen gewundert
hatte, die Braunäugigen umgingen nur ungern Kartenständer oder Caféstühle oder Menschen, die im Wege standen, sie waren von
Natur aus aufgeregt, und wann immer sich eine Möglichkeit zu einer lebhaften Unterhaltung bot, hielten sie mitten im Schritt
an und standen Nachkommenden im Wege. Sie dachte nach: über ihren Freund, nein, ihren Mann, der sie wegen ihres Ausschnitts
angeschrien hatte – wollte er, daß sie ihn erzog, daß sie sich mit einer furchtbaren Szene revanchierte? Aneschka verpaßte
ihre Haltestelle.
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Niklas Heldt, der Jäger der Schwärmer, sah aus dem Zugfenster hinaus, die Halbstarken hatten ihre Phantasienamen mit Taschenmessern,
Schraubenziehern, Schlüsselbärten hineingekratzt und aber den rechten unteren Winkel frei gelassen, Heldt sah für Sekunden
einen Mann an der Balkontür, anstatt eines Vorhangs hingen zwei ausgeblichene Stoffhosen an einer Gardinenstange draußen am
Türsturz, sie flatterten dem Mann um die Schultern. An der Endstation stieg er aus, vom Rossitter Platz bis zum Stadion waren
es nur ein paar hundert Meter, der Wald rechts und links des Gehwegs, unterbrochenvon einer Unterführung, jagte ihm keine Angst mehr ein, beim allerersten Mal hatte die Angst in seinem Bauch gebrannt. Endlich
trat er hinaus auf das Aufmarschgelände, auf dem früher die Horden zu Feuer- und Fackelspielen zusammengekommen waren, und
dann sah er zur Seite, zwei Türme umstanden das olympische Tor, hinter dem Haupteingang das Stadion mit der Pfeilerfassade,
und wie immer zwang er sich, nicht vor Ehrfurcht zu erstarren, den Himmel ging es nichts an, was er überspannte, ein Mauseloch,
eine Grabesstätte, eine Hütte am Rande einer Schlucht oder eben dieses Kolosseum auf deutschem Boden.
Zu dieser Zeit verirrten sich nur schlechte Männer hierher, und als hätte er ihn herbeigedacht, trat Franz aus dem Waldstück,
sie gaben einander nie die Hand, oder nur ganz selten, sie riefen einander nie Namen zu, oder ganz selten, also starrten sie
nur, Franz konnte starren, ohne daß ihm Tränenwasser über die Lider drang, Heldt aber verblinzelte jeden Blick, dafür war
er bekannt. Den beiden Männern wehte der Wind den Nieselregen ins Gesicht, ein Grund mehr, zu schweigen, wer machte den Anfang,
dies elende Kräftemessen, vielleicht bildete es sich der Fotograf auch nur ein, auch Franz hatte monatelang im Knast die Lust
an der Rache am Leben erhalten, die große Einbildung, wer hält es länger durch, schlägt das Schwein den Bock, oder nimmt der
Bock das Schwein auf die Hörner. Du bist nicht mehr der alte Franz, dachte Niklas, du rennst noch aus Versehen in eine Kugel,
oder eher in ein Messer, ich habe gehört, daß einige deiner … Freunde abgestochen wurden, hast du an ihren Gräbern irgendwelche
Schwüre aufgesagt, weil du glaubst, das ist das mindeste, was du machen kannst, wie bist du nur geschmacklos, Franz, mein
Gott, wer trägt heute noch einen Kamelhaarmantel, sogar die Zuhälter lassen sich bei der Wahl ihrer Kleider beraten, und du
schlüpfst in diesen Mantel, an den Schultern ist die Naht aufgeplatzt, und die Frau, die sich deiner erbarmt hat, mußauch
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