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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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allein ›to üpsitten‹ gekommen, die Sitte hält sich, trotz der Neuartigen wie Keike und andre. Man trifft
     sich in der Stube eines Nachbarn, es ist nix andres als Sprechen bei Pfeife, Tee und süßem Zeug. Erst traut sich Keike was
     und plärrt. Dann murrt der Brar über Boje, der hätt man das Uhlenlock nicht verderben solln, der Storch ist der Eule über,
     ein Hack mit de spitze Schnabel und de Uhle ist blind, das Auge ausgehackt, die kommt nicht wieder zum Mäusefressen, und die
     Mäuse tanzen dem Boje auf den Balken hoch überm Kopp. Was zeigt de Digitalklock? ruft da die Levke, das Weib von Nickels,
     und Nickels glotzt auf de neue Klock an seinem Handgelenk und verkündet’s laut: twintig veerundörtig. Der vierte Ausruf von
     Nickels ist es, das Toftumer Weib plärrt jetzt gegen die Levke, die Neue gegen die Neue, und beide, wenn man andre Fraun fragt,
     wolln mit dem Besenstiel kehren. Damit man Frieden einzieht in de Stube, erzähl ich von der Tat der Uthersumer Witwe Marret,
     gestern hat sie ein weißes Bettlaken verbrannt, und wegen der Flammen wurd ein Rind munter und stob im Galopp davon. Wollt
     das Gatter mit den Hufen einreißen, doch das glaub ich nicht, das ist die Mär von Tade, der sah der Witwe heimlich zu. Macht
     ihr schöne Augen, lange schon, streichtum ihr Huus und weiß meist, was sie in der Pfanne brät. Tades Tadel betrifft nur ein Ding: Die Witwe sagt ihm all das liebe
     Jahr nicht ja nicht nein, von Sneemand, dem Januar, bis zum Wintermaand, dem Dezember, tut er schon schmachten. De Leev mokt
     blind. Von Tade weiß ich um den Lakenbrand. Sie will ein Unheil wenden. Sie hat da was gesehen, was neu ist auf unsrer Insel.
     Sie schaut auf mich und uns herab, weil wir Plattdeutsch sprechen, und nicht so oft Friesisch. Sie hat ein schlecht Ding gesehen,
     das ihr Furcht eingibt. Durchs Uhlenlock zwängt sich auch manchmal ein Twarg und geht auf dem Heuboden auf und ab. Rastlos,
     ihn bestürmen tausend Winde Drang, hundert Atemzüge Unruh. In diesem Fall, denk ich, kaut der Twarg an den trocknen angespülten
     Tangbüscheln, die Witwe Marret sammelt. Und ablegt auf dem Boden, damit’s nicht modert in ihrer Stube. Ein Handgemal auf einem
     Ding, das nannten und nennen wir Hausmarke. Der Ahn konnt nicht schreiben, er schaute sich ab, was in der Umgebung war, er
     machte seine Unterschrift unterm Dokument mit Balken. Lange und kurze Balken, kreuz und quer aufm Papier. Wes Eigentum das
     Land ist, ward gezeigt mit Spatenstichen. Dies Bild aus breiten Strichen, aus Halb-, Viertel- und Vollkreisen, erkannte der
     Friese seinem Nächsten an. Nur die Twargen nicht, sie zerstampften sie, kratzten sie ab oder brannten ihre Undingzeichen auf
     das Ding mit dem Handgemal. Mal war’s die Handmarke als Inschrift auf der Steintafel im Kirchhof. Mal war’s das Wirtshausschild.
     Mal die Fischbeinschachtel. Das Mangelbrett, das ein Grönlandfahrer, ein Kommandeur, seinem Weib vermachte. Eine Hutschachtel.
     Das Handgemal ward durch Twarges Hand gelöscht.
    Ich sprach zu Ende, Brar und die Weiber Keike und Levke starrn mich an, als wär der Heilig Geist in mich gefahren. Nur Nickels
     klopft nachdenklich auf de Digitalklock und vermerkt, de Alten wärn tot, nur das Alte wär quicklebendig. Ihn hätt die Angst
     von heut auf morgen heimgesucht, die Angst,daß was passiert, und Broder, den man ja kennt, weil man ihn mal erwischt hat, wie er Eiszapfen am Reet schleckte … Broder
     hätt was Denkwürdges gemeint: Wenn ein Ahn vor sechsunddreißig Geschlechtern angstgepackt floh, vorm Untier, das ihn fressen
     will, wird seine Angst in dir entstehn. Nix geht grundlos verlorn, nix hat ewig Bestand, nix hat so viel Wert, daß er bis
     zum Auferstehungstag an dies Leben gebunden wär. Aber was im Garten des Museums als Viehtränke aus Stein ausgestellt wird,
     war Sandsteinsarg …
    Die Levke fällt ihm ins Wort und vermerkt, daß de Urlauber Kjökkenmödding im Schaufenster anstarrten, im Museum, wie könnt
     man Hunderte Jahre alten Küchenabfall bewundern, das wär nix für sie, und die Marret, na ja, die hätt als Kind mit de schleichenden
     Verbildung begonnen. Die hätt vor gewarnt, daß man nicht ein Strick mit Knoten aufheben tut, weil allüberall de Twarge ihr
     Unding verteilen zum Verderb der Friesen … Brar brummt quer durch de Stube, wir sind nicht umschanzt vom Feind, wir sind schon
     verdorben, denn wenn der Friese de Uhl mit de Stork aussticht, birst der Dachstuhl, die schmiedeeiserne

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