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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Giebelzier fällt und
     spießt die Sau am Trog auf, wegen der Sünde der Knechte und Herren wär doch mal auch der schwere Huthalter in der Kirche zu
     Boldixum entzweigespalten, und der Pastor hätt getobt …
    Mir wurd bang ums Herz. Was Neues ist auf de Insel und umschwirrt uns wie Fliegen das Aas. Das Gebein der Ahnen ist verrottet,
     und de alten Grabstelen hat man für de Festländer aufgestellt zum Bestaunen. Was Neues bestaunt uns, das habn wir Friesen,
     ob mit oder ohne Wagendach überm Uhlenlock, im Ahnengut in uns, das de Neuen de Gene nennen. Vorn paar Jahrn hat Eiszapfenschlecker
     Broder einen Neuling von der Küste als Sexkommunist beschimpft. Hatte das noch nie gehört. Konnt auch nicht fragen, weil der
     Broder, der sagt was, und neun Stunden sagt der nix, ich hätt de neun Stunden bei ihm verbringen müssen, bis er wieder was
     Kurzes Knappesgesagt hätt. Hab mir über die Bedeutung den Kopp zerbrochen, was Gescheites ist mir nicht eingefallen … Ging weg to Huus.
     Bete vor de Seel meines Weibs. Wind bleibt Wind. De Seel holt de Herrgott zu sich. De Twarge – sie kommen, sich an uns rächen.

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    Der Eigentümer des Häuschens in der Mittelstraße hatte ein Schild an der Vorderfront angebracht: ›Bitte keine Halme (Reet)
     herausziehen. Wenn jeder einen Halm nehmen würde, hätte ich bald kein Dach mehr über dem Kopf.‹ Bestimmt wußte er um die alte
     Sitte, daß die Mutter eines ungetauften Kindes nur dann das Haus verließ, wenn sie einen Reethalm aus dem Dach zupfte und
     unterm Rock verbarg. So war das Neugeborene auch vor dem kühnsten Hexer geschützt. Waren diese Menschen, denen man den Friesen
     nicht ansah, tatsächlich unerschütterlich, oder gaben sie nur vor, es zu sein? Und hielten Urlauber jede Qual für ein Ärgernis,
     für so etwas wie einen bei der Wattwanderung verstauchten Knöchel? Auf welcher Seite stand sie? Es gab in ihrer Familie keinen,
     der Arfst Danklef hieß. War sie zur Erholung hergefahren?
    Dies war der Tag nach ihrer Ankunft auf Föhr, sie verspürte fast immer Hunger, und sie kam um vor Müdigkeit, sie wollte einfach
     nur schlafen, oder, wie jetzt, auf den Mann einschlagen, der sich neben sie gestellt hatte und von einer Friesensitte sprach.
     Frerk aber lauschte ihm, er ließ ihn ausreden und nickte zum Dank, und hätte sie sich nicht bei ihm eingehakt und ihn mitgezogen,
     wäre er noch lange dort stehengeblieben, und kurz bevor er seinen Schritt ihrem Schritt anglich, musterte er den Himmel, als
     forschte er nach den Zeichen eines Unwetters. Sie sagte: Ich will meine Finger ins Wasser tauchen, nur bis zur Hälfte. Geht
     das? Er lächelte sie an, er sollte nicht so oft lachen, dachte sie, er wird unansehnlicher.Sie sprangen von der hohen Gehwegkante herunter auf den Sand und schlängelten sich durch die Strandkörbe und um die trotz
     der Kälte halbnackten Urlauber, sie wurden von manchem angestarrt, weil sie Rollkragenpullover und dicke Westen trugen, kurz
     vor dem Spülsaum des Meeres entsann Cora sich ihres Vorhabens, nicht im Schatten des fremden Mannes das Wasser zu berühren.
     Und also kehrte sie um, löste ihren Arm von dem seinen. Es gefiel ihr nicht, daß man sie für Eheleute halten könnte, es mißfiel
     ihr, daß er zu glauben schien, ihre Versöhnung könnte als der Anfang einer … Liebelei gelten. Sie war keine Wadenprominente.
     Sie war keine halbbeschädigte gewesene Freundin eines Fotografen, dem nichts Richtiges gelang im Leben, bis auf die Bilder.
     Sie war nicht das Liebchen eines kleinen Gauners, der sich so leicht hatte übertölpeln lassen.
    Und weil ihre Wut nicht versiegen wollte, stieß sie mit einem Mann zusammen, der seine Jackettärmel umgekrempelt hatte, mittlerweile
     standen sie im Menschengewühl am Kursaalgebäude gegenüber, im sogenannten Musikpavillon, spielte eine Kapelle, die Musiker
     griffen und zupften und bliesen und schwenkten beherzt ihre Instrumente, und als sie sich umschaute, sah sie Frerk mit dem
     fremden Mann sprechen, er stellte sich wenig später als Ocke Volkerts vor. Ein weggezogener und wieder hergezogener Inselfriese,
     die weite Welt ist so groß wie mein Dorf hier, sagte er, und Cora verzog das Gesicht, sie stieß die Herumstehenden beiseite,
     und zu ihrer Verblüffung machten sie ihr Platz. Im Weggehen hörte sie diesen Ocke Volkerts vom Friesenfleiß sprechen, ein
     Wort ohne Sinn, der Schrei einer Möwe schnitt in die kurze Stille in ihren Kopf hinein, und sie dachte: Möwen

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