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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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ihnen nach, den Urlaubern, und starrte geradeaus und ließ den Blick rundherum schweifen. Keine Seehundsbank, kein Grönlandwal,
     der mit dem Schwanz aufs Wasser schlägt. Eine Weile blätterteer im dünnen Büchlein über die friesischen Walfänger von einst, und er las Cora laut vor, daß die Zunge eines Bartenwals
     fünf Meter lang und drei Meter breit wäre und achtzig Zentner wöge, er heuchelte große Verwunderung. Da sie aber beharrlich
     schwieg, klappte er das Büchlein zu und ging von ihr weg. Kein schäumendes Meer und kein drohender Himmel. Eine Frau, die
     Netzstrumpfhosen trug – so eine hatte er noch nie gekannt. Coras nacktes Hinkebein steckte im Netz, und er mußte sich zwingen,
     daß er … er mußte einfach aufpassen.
    Als die Fähre am Hafen von Wyk, der Föhrer Hauptstadt, anlegte und die Fußgänger vor den Autos hinausströmten, trug er ihre
     Taschen und sein eigenes Gepäck und ließ sich mittreiben, er legte die Taschen zu ihren Füßen ab und hielt Ausschau nach dem
     Taxifahrer, der sie zur Ferienwohnung bringen sollte. Und tatsächlich händigte die Vermieterin ihnen wenig später einen Satz
     Schlüssel für die Wohnung in ›Emmes Hüs‹ aus, erster Stock rechts, vierzig Quadratmeter, sagte sie, die telefonische Übereinkunft
     gilt, in der Hauptsaison nehmen wir pro Nacht fünfundsechzig Euro und für die Endreinigung dreißig, die Haustür brauchen sie
     nicht abzuschließen, hier passiert nichts … Wie meinte sie das? Und wieso starrte ihn Cora böse an, als er trotzdem abschloß
     und den Schlüssel im Schloß zwei Male drehte? Ganze zehn Minuten waren sie in der Wohnung gewesen, und bevor er verkünden
     konnte, daß er ihr gerne den Vortritt überlasse, stürmte sie ins Bad, er glaubte schon, sie würde sich einschließen, sie kam
     bald wieder heraus, leicht geschminkt und mit bitterer Miene.
    Jetzt gingen sie die Friedrichstraße entlang, bis sie beim ersten Restaurant haltmachten, sie aßen Scholle ohne Gräten nach
     Fischers Art und nicht Föhrer Lammfleischpfanne. Er legte endlich Messer und Gabel auf den Teller, er zog eine Gräte zwischen
     den Backenzähnen heraus, und als er sich umdrehte, erstarrte er: Auf großem Nest auf hohem Pfahlstanden vier Störche, sie schlugen immer wieder die Flügel auf, als wollten sie das kommende Dunkel verfächeln, und am anderen
     Ende des Parks sah er eine wuchtige Windmühle, er wußte, daß die Müller in alter Zeit durch die Flügelstellung Arbeit und
     Feierabend, Freude und Trauer anzeigten, und da sagte er: Es war eine Mühle, die hatte acht Kanten, in jeder Ecke stand ein
     Sack, auf jedem Sack lag eine Katze mit sieben Jungen, in der Mühle standen der Müller und sein Geselle. Wie viele Füße sind
     in der Mühle? … Vier Füße, sagte Cora, ohne nachzudenken, ich finde die blöde Mühle und die blöden Störche kitschig. Und dann
     auch noch diese Lampen! … Die Kugellampen im Gras leuchteten im matten Violett, Gelb und Rot, tatsächlich war der Park gegenüber
     nichts anderes als ein besserer Vorgarten. Dann schrie ein plumper Vogel mit rotem Schnabel auf dem Dachfirst entsetzlich
     laut auf, und die Kellnerin sagte ungefragt, das wäre ein Austernfischer, sie würde ihm Teller und Besteck wegräumen, damit
     er der Dame nicht bissenneidisch die verbliebene halbe Scholle wegaß.
    Was wußte er über diese Frau? Sie gab nichts preis, und wegen seiner Lügen hatte sie sich verschlossen, sie kippte beim Gehen
     halb weg, doch nie wäre er auf den Gedanken gekommen, sie als … beeinträchtigt zu bezeichnen. Sie spazierten am Sandwall,
     der Uferpromenade, und drehten am Fähranleger mit der alten Mole um, ein Schild wies sie darauf hin, auf weitere Hinweisschilder
     zu achten, und also las er, daß sich der Nichtraucherstrand zwischen der Mittel-und Seglerbrücke befand, die Hundestrände
     waren in der Zone zwölf – gleich hinter dem Leuchtturm am Olhörner Knick – und der Zone dreißig am Heidewäldchen, der benachbarte
     Abschnitt war für die Nacktbader vorgesehen, in der Strandzone neunzehn konnte man sogar Drachen steigen lassen … Es reicht,
     ich kann auch lesen, sagte Cora und stieg hinab zum Strand. Vor den Sitzen der Strandkörbe waren Holzgitter angebracht und
     mit Vorhängeschlössern gesichert, wie schade, dachte sie,ich hätte jetzt gern in einem Korb gesessen und dem Schlag der Wellen gelauscht … Das Meer aber war ruhig. Ein Liebespaar
     dort auf dem Steg, ein kleiner Heißluftballon zog durch

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