Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
den Himmel über ihnen, kleine Muscheln knirschten unter ihren Füßen,
     sie wollte ihre Hand ins Wasser tauchen, doch nicht jetzt, nicht im Schatten des Mannes, also stand sie auf und schlenderte
     voran, auf dem Heimweg erschrak sie wegen einer Wachspuppe im Seeräuberkostüm, sie hatte ein Messer zwischen den Zähnen und
     hing an einem Tau, das am Holzgeländer eines Balkons festgeknotet war, der leichte Wind ließ die Puppe sachte schaukeln. Dann
     blieb sie am erleuchteten Schaufenster eines Bernsteinschmuckgeschäfts stehen und sagte zu dem Mann hinter seinem Rücken:
     Ich mag den Norden nicht. Dich mag ich auch nicht. Jetzt bin ich hier. Wer du bist, ist mir egal, was wir die nächsten Tage
     machen, ist mir egal. Schade, daß du meine Gedanken nicht lesen kannst. Dann würdest du wissen, was ich mir wünsche. Du schläfst
     auf dem Sofa. Und morgen will ich ausschlafen. Auf ein gemeinsames Frühstück lege ich keinen Wert …
    Sie sah seinen Schatten an sich vorbeiziehen, der Einbrecher verschwand, vielleicht verschluckte ihn auch das Dunkel nach
     einem einzigen Schritt, das Dunkel, das die Störchenflügel grau melierte und die Menschen aus den Gassen vertrieb, dies Dunkel
     ließ sie frösteln und weitergehen, dem Schatten nach, der kurz verweilte und sich als Fleck über den Bürgersteig ergoß, dann
     aber floß der Schatten zurück in den Körper und wurde zum Umriß des fremden Mannes. Robert – kein Name, der eine Frau aufmerken
     ließ. In der Wohnung schaute sie ihm dabei zu, wie er Hemden über Kleiderbügel und die Bügel an die Haken über den Fenstern
     hängte, er wollte den Männern im Haus gegenüber die freie Sicht in ihre gute Stube nehmen, sie verlieren jeden Respekt, wenn
     sie einen Menschen in Unterhose sehen, sagte er, und sie fand ihn in diesem Augenblick derart lächerlich, daß sie sich im
     Badezimmereinschloß, um zu lachen und sich vor dem Spiegel abzuschminken.
    Boldixum, Wrixum, Oevenum, Alkersum, Oldsum, Utersum: Sie lag im Bett und studierte die Inselkarte, sie las die seltsamen
     Namen der Siedlungen, auch wenn die friesischen Namen deutsch angeschliffen waren, sie klangen schön alt und … wie Kriegersprache.
     Das Wort Heidentum endete auch auf die Endsilbe um, ja genau, es waren alles verstockte Heiden, und dieser Gedanke gefiel
     ihr so sehr, daß sie Robert im Nebenzimmer zurief, sie würde die Föhringer besser verstehen, sie hätte etwas Wichtiges erkannt,
     und ab sofort hieße er, der ungeschickte Einbrecher, Frerk. Als sie keinen Laut der Zustimmung vernahm, stand sie auf, ihr
     fiel im letzten Moment noch ein, sich eine Decke überzuwerfen, sie sah ihn am kleinen Fenster in der Dachschräge stehen und
     durch den Spalt zwischen den aufgehängten Hemden spähen, hatte ihn eine Unruhe wegen der lautlos herumgehenden Nachtspaziergänger
     erfaßt? Plötzlich flogen die Saatkrähen von dem wuchtigen Baum neben dem Haus auf, der Lärm ließ ihn vom Fenster abprallen,
     und da entdeckte er sie, die ihre Netzstrumpfhosen abgestreift hatte und sich vor ihm verbarg. Ich weiß auch nicht, ob mir
     die Insel gefällt, sagte er, ich weiß, es klingt albern, aber irgend etwas liegt in der Luft, überhaupt die Luft, ich bin
     völlig fertig … Dann schlaf doch, sagte sie, und morgen gehen wir zusammen frühstücken. Ich will nicht allein am Windbeutel
     kauen …
    Später unter der Decke, die an seinem Kinn kitzelte, kämpfte er gegen das schlechte Gefühl, und kurz überkam ihn die Angst:
     Was wäre, wenn die Wellen anrollten und sie für lange Zeit nicht mehr wegkamen von der Insel, was wäre, wenn sie sich an den
     freigewehten Sparren eines Reetdachs festhalten mußten?

[ Menü ]
     
    Überm Eulenloch im Giebelspitz hat Boye Oluffs ein Wagendach gesetzt, und der Storch fand den Platz zum Nisten. Gefällig dem
     Himmel wollt er sein, allen gefiel’s, und nur Brar murrte, wie er immer murrt, weil sein Weib Keike aus Toftum ihm den Tag
     und die halbe Nacht verplärrt: Sie will als Freie gelten. Es ist überliefert, nur der Tod geht frei durch alle Gänge. Keike
     hält’s nicht mit dem Alten, sie hat vermerkt, daß auf den Grabstelen von tapferen Mannen die Rede wär. Die konnten mit wenigen
     Hieben dem Wal die Fluke abhauen, ein Speckschneider und sein Flensmesser, das wär wie Krieger und gewetzte Klinge. Und all
     das Geld! Und allüberall Wohlstand, weil der Speck, zum Tran ausgebrannt, aus Friesenlümmeln echte Herren machte. Mein Weib
     ist tot, ich war

Weitere Kostenlose Bücher