Hinterland
wahren Föhrer Grabsteine aufstelln, das Todesjahr wird vom Steinmetz hineingehaun. Das tat auch Rickmer,
er vermeint, daß jede alte Sitte einen neuen Anstrich braucht. Er hat sich schon die vollständige Inschrift auf den Stein
meißeln lassen, also auch das Todesjahr. In zwo Jahrn wird er nach seiner Rechnung dood sein. Seine Modder ward auch wie er
zu de komische Leut gezählt. Sie gehörte zu de veer Döchter eines Mannes, der hat kurz vorm Tod den Grabstein bestellt, darauf
warn die Ehelüüd und de veer Döchter abgebildet. Stirbt einer nach dem andren weg. Vadder. Modder. Und de dree Swestern. Bleibt
nur Rickmers Modder übrig. Was tut sie? Schleicht sich eines Nachts auf de Kirchhof mit Hammer und Meißel und schlägt ihr
Gesicht auf de Grabstele ab. De Pastor hat getobt, konnt nix beweisen. Dieser Sippschaft entstammt der olle Rickmer, und wenn
man mal abzieht, daßer die Walschlächter für de wahren Friesen hält, ist er vom Verstand her uns allen über. Der grübelt nicht, von welcher Seite
ist mein Brot gebuttert, wie muß ichs anstellen, daß de Lüüd mir Glanz und Lack ansehn. Der steigt de Lüüd nicht aufs Dach
mit de Zupffiedel. Sogar Brars Weib Keike, obwohls Geschwätz ihr aus de frischpoliertem Mündchen wächst, sogar die sagt: Rickmer
ist auf Himmelsuche. Toftum, das heißt ins Festlanddeutsch übersetzt ›bei dem Hausgrundstück‹. De Toftumer erraten immer,
wer sich auf seiner Scholle grämt und wer den Himmel sucht.
Rickmer bin ich also nachgegangen und hab ihn beim grooten Grübeln erwischt. Und er vermerkt, er hätt die Zahlen drei sieben
drei aufm Rücken eines Mannes gesehn, den sein Weib hochöffentlich Frerk nennen tut, mit Kreide wärn die Drei und die Sieben
und die Drei tattrig aufgemalt, da wo der Rücken von Achsel zu Achsel reicht, einmal hätt sein Weib ihn auf diese Stelle gekloppt,
weil der Mann sich verschlucken tat an de Waffelbissen, und die Kreide hätt nicht aufgestaubt, dieser Frerk, von dem geht
de Unruh aus, dieser Frerk wär kein Friese und trägt de Zahl aufm Rücken … Matz Peters, dacht ich. Jeder kennts bis zum Überdruß,
de Inschrift der Stele von Matthias Petersen, auf latein heißts: Geborn dann, dood dann, der Schiffahrt nach Grönland kundig,
wo er dreihundertdreiundsiebzig Wale fing, nach aller Urteil bekam er den Namen ›Der Glückliche‹. Ein Kommandeur und ein Walschlachter
dieser Matz. Seinerzeit habn die Erben hundert Taler zugesagt, für de Grabstelle im Kirchhof der St.-Laurentii-Kirche, konntens
aber nicht aufbringen. Petersens Knochen wurden rausgeschaufelt und in ein andres ausgescharrtes Loch geworfen. De Grabplatte
ward dann hochkant aufgestellt.
Des Friesen Groote Schaustellung: Der Hausrat, vom Ahn geerbt, wird den Festlandreichen verkauft, und die Kartenbilder, von
Schummelkratzern vor alt ausgegeben, hängn bei deFetten und Feisten überm Kanapee. Des unbekannten Frerks groote Ausstellung: Aufm Rücken trägt er Matzens Siegeszeichen.
Ist er ein Laienmaler? Ist er einfältig, weil er Tropfen zählt? Das Stück Inselland ist vom Meer umrissen. Wir alle hier,
fast alle, sind auf Himmelsuche. Doch wenn man de Seel zu Lebzeiten verhaucht hat, wird das nix. Steckt in diesem Frerk de
Seel noch fest drin? Elektriker Wögen war in de Sankt Nicolai am Lampenklemmen, als er sieht, daß da man ein Mann und seine
Fruu reinkomm’. Weil er ein’ guten Tag hat, steigt er runter von der Leiter und verklärt ihnen die Bibelstelln im Unterbau
des Altars. Da steht auf plattdüütsch: Evas Samen soll der Schlange den Kopp zertretn, und sie wird ihm in die Ferse stechn.
Elektriker Wögen sagt: Es war, als hätt de Slang dem Kerl in de Foot gebissen, er rennt wech, de Fruu rennt wech, ich seh
auf seinem Rücken dree Zahln, dree söven dree, ich werd verrückt! … Es heißt bei uns, soveel Ruten, soveel Snuten, so viele
Fenster, so viele Schnauzen, der Klatsch hört nimmermehr auf, Rickmer und Wögen habn ihn gesehn, und wir kennen sein’ Namen.
Gehörn Frerk und Fruu, weil sie auch mit dem Dampfer herüberkam, zu de Lüüd, die vermeinen: Ich bin auf der entlegnen Insel?
Wovon habn sie sich entfernt, und was habn sie zurückgelassn? Ich gönn allen die Erholung. Ich gönn uns das Geld, das die
Festländer hier ausgebn tun. Bin neuerdings arg am Fürchten, daß de Pott kippt und all das heiß Wasser übers nackte Fleisch
sich gießt. Gott sei davor. Gott mit uns und dem Bösen ein
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