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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Heide lernte das Schielen, weil der Teufel den klaren
     geraden Blick verbietet, geboten die Pfaffen, und unsere angstgeplagten Friesen waren froh, sie mußten sich nur noch vor dem
     Fegefeuer fürchten. Und die Twarge? Dies unmögliche Benehmen von seiten des Volks, das nach ihnen heimisch wurde auf der gesprengten
     Scholle, dies ungehörige Benehmen – es zwang sie, einfach tiefer zu graben. Dort unten singen sie ihre Spottlieder über uns,
     über die Bekrönung unserer Grabplatten, auf denen man abgetakelte Schiffe im Heimathafen sah, die Kommandeure ließen sich
     die Platten machen, diese besseren Harpunierer, die nicht einmal gut mit dem Wurfspeer umgehen konnten, sie verletzten sich
     an den Widerhaken, doch zu Hause, zu Hause im Friesenland, feierte man sie als Helden. Heute hieß es, der Friese entsprach
     nur unter Zwang der Sitte der Festländer, da sprachen die Idioten der Abart das Wort, sie mischten Billigkognak mit Cola und
     tranken die Proletenbowle, bis sie erbrachen …
     
    Cora hatte genug, sie ließ sich zurückfallen, lehnte gegen die Umfassungsmauer der Häuser mit Meerblick und wählte die Nummer
     ihrer Bar, nach dem ersten Klingeln nahm ihr Kellner ab, ein schlechtes Zeichen, dachte sie noch, er wird mir gleich von der
     großen Flaute erzählen, doch sie erfuhr, daß alles bestens und wohlgeraten war; ein Tätowierter hat nach dir gefragt, sagte
     der Kellner, er sieht aus wie ein Student und kleidet sich auch so, er trug trotz der Kälte kurze Hosen, wahrscheinlich, um
     das Wadenbild zu zeigen. Hat keine Nachricht hinterlassen, ging einfach wieder weg. Und hier, ich habe es mir auf einem Zettel
     notiert, ich soll dich von einer gewissen Aneschka grüßen. Tschechin, jung. Sie fragt, ob du ihr etwas über Budapest erzählen
     kannst, ihr Freund ist allein da hingefahren. Diese Aneschka rief übrigens aus Prag an. Und mit einem gewissen Niklas Held oder Feld habe ich auch
     telefoniert, er fragt, ich zitiere: Willst du meine Fotos an deine Kneipenwände hängen? Wir machen Hälfte-Hälfte. Zitatende.
     Sonst noch was? sagte Cora. Wir machen ein gutes Geschäft, sagte ihr Kellner, die Leute trinken wie verrückt. Trübsinn steckt
     wohl an. Ja, das ist die große Wahrheit, dachte sie und schaute ihr Mobiltelefon an, als erwartete sie einen Digitalton der
     Zustimmung, und sie holte die Postkarte aus der Jackentasche heraus und sagte die Namen der abgebildeten Vögel an der Nordsee
     laut auf, Zwergseeschwalbe, Lachmöwe, Austernfischer, Eiderenten, Rotschenkel, Junge Silbermöwe, Brandgänse, Sturmmöwe, Kiebitz,
     Küstenseeschwalbe. Sie würde sich schonen und keine alten Hängeleuchter oder Wachsstockhalter und keine alten Stundengläser
     und keine alten Fanganlagen für Wildenten und keine Vogelkojen anstarren gehen. Sie würde nicht an der Föhrer Westküste wandern.
     Bald wäre sie zu Hause.
    Und Frerk? Er spürte den Keim der Entzweiung wachsen, eine Liebe hatte diese Frau nicht zugelassen, eine kalte Glut würde
     er nicht anfächeln, dieser Ocke an seiner Seite, dieser … extreme Friese, der alles verfluchte, bis auf das Meer und den Himmel,
     war vielleicht ein Freund. Nicht mehr als elf oder zwölf Schritte entfernt stand Cora. Sie hatte nie wieder die Netzstrumpfhosen
     getragen und ihn aber darüber aufgeklärt, daß sie ihren Körper reduzierte, sie wollte abnehmen, deshalb aß sie keine Pfannkuchen
     und schaute ihm beim Kauen und Schlucken zu, und sie hoffte, das hatte sie ihm heute mitgeteilt, daß das Hinken nachließ,
     wenn sie weniger wog. Ocke sagte, er sollte nicht wie ein Tourist mitten auf dem Gehweg gehen, und Frerk, leicht verschämt,
     wich einem Familienvater aus, seine Frau und seine zornige Tochter folgten ihm.
     

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    weltgeist
    Wie Ferda eine Kapelle nach Böhmisch-Kanada begleitet und glaubt, Abschied nehmen zu müssen von seiner Aneschka; wie er sich an der Seite einer Rosenstreuerin wiederfindet und am Tag der Überfälle von Patrioten um sein Leben bangen muß
     
    Wer sah es ihr schon an, daß sie sich wünschte, verschönert zu werden. Mit den Worten ›verschöner mich!‹ hatte sie einen Georgier
     zu einer Heldentat aufgefordert, doch den Heldentod wollte der nicht sterben, also fuhr sie mit dem alten Russenauto ihres
     Vaters durch die freien Länder in die freien Städte und streifte durch die freien Viertel. Hier ein Gramm zuviel, dort ein
     Gramm zuwenig, hier drückte der Himmel auf die Dächer, dort war der Abstand zwischen dem

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