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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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legte,
     ich machte einen Ausfallschritt und wurde aber an der Schläfe von einem Faustschlag getroffen, und als ich mich am Boden krümmte,
     sah ich den ebenfalls zu Boden gestürzten Arad die Hand nach mir ausstrecken. Ich legte meine Hand in die seine und fühlte
     ein kurzes Holzstäbchen, nein, es war ein Streichholz, jetzt, da ihm Blut aus dem Mund sickerte, schien es ihm nichts auszumachen,
     daß man uns für schwule Verliebte halten könnte. Kurz vor der Ohnmacht blickte ich in fremde Gesichter von über mir kauernden
     Frauen, und wie dumm von mir, daß ich mich freute, der Wunsch nach einem Kuß von einer Unbekannten war mir nicht erfüllt worden,doch sie kümmerten sich um mich, die Frauen. Ich stand mit ihrer Hilfe auf und preßte ein nasses Papiertaschentuch an die
     Schläfe, vielleicht war es schäbig, den verletzten Körper Arads nicht zu bewachen, er saß aber mittlerweile auf seinem Hosenboden
     und versuchte, die leicht besorgten Schaulustigen wegzuscheuchen. Also entfernte ich mich langsam, warf das geknickte Streichholz
     in einen nostalgischen Kippmüllbehälter und hörte nicht auf Arad, der mir zurief, ich sollte auf ihn warten, und wenn ich
     schon einen Kameraden im Stich ließe, sollte ich an der Brücke am Zaubergarten warten, in zwei Stunden.
    Dann gingen seine Rufe in ein Geschrei über, ich warf auch das nasse Taschentuch weg und lachte aus vollem Halse – Kamerad,
     wie kam er dazu, sich meinen Kameraden zu nennen, er rettete sein Vaterland, und ich war ein braunäugiger Deutschhunne, der
     sich an fremde Leute hielt wie an Blutsfreunde. Ein Hund mit einem zerbissenen Fell in einer leeren Gasse, mehr war ich nicht.

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    In zwei Tagen, am achten achten, wird eine Frau auf einen der Turuls der Freiheitsbrücke klettern, man könnte sie daran zu
     hindern versuchen. Es wird ihr gelingen. Im August, da die Händler und Geschäftsleute mit einer Devisenschwemme rechnen, will
     man die Touristen nicht mit Sicherheitskontrollen verärgern. Es wird ihr gelingen, es liegt etwas in der Luft. Davon sind
     nicht nur die Wetterfühligen überzeugt. Auf dem kleinen und großen Gürtel auf der Pester Stadtseite wurden vornehmlich Männer
     gesichtet, die so tun, als wären sie auf einem Erkundungsrundgang. Im Stephansdom stehen besonders andächtige Frauen vor der
     Handreliquie, und für die Umstehenden hört sich ihr Gemurmel an wie eine Litanei. Tatsächlich legen sie manchmal die Hand
     aufs Herz und beteninbrünstig um Beistand. Wieso sollte man die Herumstreicher und die Bittgebetsflüsterer miteinander in Verbindung bringen?
     Zwei Tage noch, das wissen diese Männer und Frauen, dann wird man ein Wunder erleben. Das Wunder sehen. Und in den Hinterhöfen
     wirft der erste Anbeter wieder Gläser gegen die Zimmerwand und erlaubt nicht einmal seinem Adjutanten, die Scherben zusammenzufegen.
     Was war, was ist, was sein wird: Mit Taschenlampen senden die Anbeter der königlichen Hand Signale von Fenster zu Fenster,
     und wer sie entschlüsselt, versteht, daß das Datum feststeht – das Vergangene, das Bestehende und das Künftige werden vom
     Zeitloch geschluckt. Danubia, Donau, Duna, das sind nur Namen für das Wasser, und jede Siedlung am Wasser zieht die Geister
     an. Ein Geist läßt das Wasser über die Ufer treten. Ein Geist läßt die Horden gegen die Wälle prallen. Ein Geist züchtet Geister
     aus Fleisch und Blut, das sind die Verräter von heute. In diesen Glaubenssätzen, die der erste Anbeter seinen harten Kerlen
     einflüstert, steckt die Angst des Narren, daß man ihn als Narren überführt. Ein Säufer, dem man nach dem Fall des Sowjetimperiums
     antrug zu führen, träumt nun, daß er ein Herr sei und daß sein Herrenfeuer wärmt und brennt. Der Kopf der Bande ist zerschlagen,
     denkt M., er hat einst an meine Tür geklopft und mich gedrängt, daß ich die verirrten Geister rufe. Ich rief sie, sie sammelten
     sich, und es begann. Sein vorzeitiges Ende hat er selbst verschuldet.

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    Das Geldkuvert war verschwunden. Er packte alle ordentlich gefalteten Kleidungsstücke aus dem Koffer aus, zog den Reißverschluß
     der Schonhülle auf und starrte auf den Kofferboden. Es konnte nicht sein, er verwahrte doch den Umschlag zwischen Hülle und
     Schale, ein sicherer, ein zugriffssicherer Platz, und natürlich verdächtigte er das Zimmermädchen,wer sollte ihn sonst bestohlen haben. Dann saß er auf dem Bettrand, hörte im Nebenzimmer einen Staubsauger röhren,

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