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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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wollen Sie nicht? sagte Arad. Nichts, sagte ich, ich muß mit offenen Augen geschlafen haben. Haben Sie öfter diese Ausfälle?
     … Und wir führten das Gespräch von zwei Männern im Auto, die der Tod eines nahen Menschen und eine absterbende Liebe nicht
     länger zu erschüttern schien, mittlerweile waren wir im Stadtzentrum angelangt, und er äußerte den Wunsch, mit mir an der
     Pester Donauzeile zu sitzen, dem Abschnitt zwischen der Elisabeth- und der Kettenbrücke. Diese frühere Wagenauffahrtstraße
     kennte man auch unter dem Namen Donaucorso, und während er über die schöne Zeit der Grandhotels und Gartenlokale sprach, schloß
     ich wieder die Augen, in dem Wunsch, daß sich die Schönheit abbildete hinter meinen Lidern, ich sah aber nur Hell und Dunkel
     sich vermischen zum undurchdringlichen Dunst. Wollte er mir schonend Wissenswertes über die geheimen und versteckten Kämpfe
     in Bukarest, nein, in Budapest beibringen, oder brauchte er Gesellschaft? Wir setzten uns an den ersten Tisch des erstbesten
     Restaurants am Fluß, zwei Männer ohne weibliche Begleitung, und das mochte vielleichtder Grund sein, daß der Kellner davon sprach, das Management verböte es ihm, unsere Kaffee- und Kuchenbestellung aufzunehmen,
     man hätte schon für das Abendessen gedeckt. Da erhob sich Arad, streute Pfeffer auf seine Handinnenfläche, leckte die Pfefferkörner,
     zermalmte sie mit aufgeworfenen Lippen und spuckte aus. Nach einem heftigen Wortwechsel mit dem Kellner, der drauf und dran
     war, ihm an den Hals zu gehen, stürmte er von der Terrasse, ich folgte ihm aus Angst, man könnte mich für Arads unschickliches
     Benehmen zur Verantwortung ziehen.
    Wir schritten auf dem Zierpflaster zwischen dem gußeisernen Geländer und dem Eschenspalier, um die Bäume waren mannshohe Schutzgitter
     angebracht, ich sah rote Briefkästen und Lichtmasten im Stil der Jahrhundertwende, über deren Schatten Kinder nicht zu springen
     wagten. Als eine gelbe Trambahn langsam vorbeifuhr, stießen sich Urlauber in kurzen Hosen an und jubelten, ein altes Fahrzeug
     auf blinkenden Gleisen brachte sie zur Verzückung, ich wollte eine abfällige Bemerkung über Billigpreisnostalgie machen, doch
     dann überlegte ich es mir anders – ein seltsamer Patriot hatte sich meiner angenommen, er würde mir, den Lästerer wider die
     Volkskunst, bestimmt die Gnade entziehen, ich wäre degradiert zu einem ortsunkundigen Touristen. Wenn du noch weiter abnimmst,
     wirst du plötzlich verschwinden, sagte er, du löst dich einfach in Luft auf, du mußt ordentlich essen. Werd’ ich tun, sagte
     ich. Dieser Kellner ist geringer als ein Steppennagetier, sagte er, es ist noch nicht sieben Uhr abends, er hat von sich aus
     entschieden, uns nicht zu bedienen, weil er glaubt, ich sei ein älterer Galan und du ein amerikanischer Strichjunge … Wirst
     du mir schwule Avancen machen? Nein, sagte ich. Das ist gut, flüsterte er, wir sind nämlich die Russen nicht losgeworden,
     damit die Sodomisten wie die Ziesel in unser Land einfallen. So wie ich dich einschätze, liest du keine Zeitungen. In der
     ausländischen Presse steht viel überuns Ungarn, ich habe etliche Artikel gelesen und bin zu dem folgenden Schluß gekommen: Man wird uns erst die Zivilisationsreife
     zuerkennen, wenn wir die Homosexuellenrepublik ausrufen. Wann erklärt man uns für normal? Wenn ein schwuler Priester zwei
     Schwulen den Ehesegen erteilt und die Hochzeitsgäste zur Hälfte aus geschiedenen oder lesbischen Frauen bestehen. Sie sind
     rechts, stellte ich fest. Nein, sagte er, ich unterscheide nur zwischen reinem und trübem Wasser … Eine seltsame Antwort.
     Kein Intellektueller, kein Rechter – was dann? Ein Wiedererweckter.
    Wir gelangten schließlich zu einer Statue auf dem Straßenbahngeländer, eine Menschentraube hatte sich davor gebildet, die
     Bronzegestalt war ein Mädchen mit einer verrutschten Papierkappe auf dem Kopf, es schaute offenen Mundes wie erschöpft, wie
     erstaunt über einen Lichtglimmer, den nur sie in weiter Ferne sah, über die Köpfe der Männer und Frauen hinweg, und inmitten
     der Menschen ein betender Mann auf Knien, die Arme abgewinkelt, die Handinnenflächen nach außen gewendet, ein Urchrist mit
     Krawatte, dachte ich, der Kniefall des Gläubigen vor einem Touristenschaustück, wie kann er das tun, und ehe ich dazu kam,
     Arad danach zu fragen, stand der Mann auf und sprang mit einem Satz zu Arad, dem er von hinten den Unterarm an den Hals

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