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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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und fast
     hätte er Mut gefaßt und wäre hinausgegangen, um die Putzfrau zur Rückgabe seines Geldes zu bewegen. Sie hatte ihm eine Tulpe
     in die schlanke Vase gesteckt, vielleicht zum Dank, vielleicht aus Hohn. Es war besser, den Vorfall zu beschweigen, es war
     besser, trotz der anderen verrückten Vorfälle zur Flußinsel zu gehen, die der blutig geschundene Mann einen Zaubergarten genannt
     hatte.
    Doch dann stand er vor einem Polizisten, der am Brückenkopf postiert war und ihn wie andere Touristen am Weitergehen hinderte,
     er erklärte, daß man die Margitbrücke wegen der Bergung einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg gesperrt hatte. Ihm blieb
     nichts anderes übrig, als im großen Bogen zur Arpadbrücke am anderen Ende der Insel zu marschieren. Zuerst wurde Zoltan auf
     ihn aufmerksam, und sein Gesicht versteinerte zu einer Maske des Hasses, und während er näher kam, sah er Eszter auf ihn einreden
     – wovon wollte sie ihn überzeugen? Davon, daß er zu den dummen Statisten einer Aufführung gehörte? Daß er zu richtigen Schlußfolgerungen
     fähig war, denn er hatte sich von einer Abweisung nicht abschrecken lassen, er ließ sich für das höhere Ziel einspannen. Tatsächlich
     sprach sie von ihrer Notlage, Zoltan sollte an die Worte des patriotischen Journalisten denken, der im hauptstädtischen Blatt
     geschrieben hatte: Wird man vor die Wahl gestellt, zwischen Gut und Böse zu wählen, entscheidet man sich für das Gute. Doch
     das Gute zerfällt in Fraktionen, sosehr ich mir auch wünschte, es wäre vereinigt wie Buda und Pest zu einem Großen und Ganzen.
     Das große Ganze aber ist angelegt in den Zielen jener Frau, deren Anhänger sie nicht zu Unrecht die Rosenstreuerin nennen
     …
    Als Ferda bei ihnen ankam, sagte sie ihm: Wenn Sie Treppen wischen, wo fangen Sie an? … Oben. Genau. Wer zuerst die untere
     Stiege wischt, ist dumm … Wissen Sie was, sagteFerda, ich habe genug von Ihrem Geraune. Wo ist überhaupt Arad? … Er erholt sich zu Hause von dem Angriff, das vermute ich,
     er hat sich bei mir nicht gemeldet … Was hat es mit dem Streichholz auf sich? … Ach das, sagte Eszter lächelnd, ein umgeknicktes
     Streichholz bedeutet, daß man kurz davor ist, zu sterben. Sie müssen den alten Mann entschuldigen, er neigt doch zu oft zur
     Theatralik. Man hat mir zugetragen, daß Sie beide angefallen wurden, es tut mir leid … Ich wurde bestohlen, sagte Ferda, in
     meinem eigenen Hotelzimmer, ich habe gerade mal so viel Geld, daß ich mir ein Abendessen und zwei Fahrten mit der Straßenbahn
     leisten kann …
    Seltsamerweise wußte er genau, was folgen würde, die Rosenstreuerin schickte ihren verliebten Adjutanten ins Hotel, auf daß
     er sich der Angelegenheit annehme. Zoltan nahm sich ohne Widerrede dieses Auftrags an, bestimmt dachte er daran, daß es tausend
     Gründe für Eszter gab, diesem Streuner durch seine Stadt nicht mehr Beachtung zu schenken als unbedingt erforderlich. Kaum
     war der Adjutant verschwunden, erzählte sie ihm von ihren Erinnerungsorten in Deutschland, von Berlin und Hamburg, von ihrem
     schönen Leben als Studentin, da sie froh gewesen war, von ihrem launischen Vater durch Tausende Kilometer entfernt zu sein.
     Dann war sie zurückgekehrt, und sie hätte erkennen müssen, daß der Teufel mehr als zwölf Apostel hätte, er sollte sie entschuldigen,
     sie spräche in Bildern, weil die Ungarn nur das … Geraune kannten, oder das Vaterunser der Husaren. Bei diesem Wettbewerb
     gewann jener, der am längsten schimpfte, ohne sich zu wiederholen, auch ihr Vater selig hätte bei diesen Wettbewerben mitgemacht,
     doch die Flüche gingen aus, und am Ende besoffen sich die Männer nur und glotzten trübe aus den Wirthäusern heraus, da hätte
     der Gedanke nahegelegen, die Besoffenen und die Nüchternen für etwas zu gewinnen, das nicht verging, wenn man sich den Bierschaum
     vom Bart wischte, das nicht verging, wenn man nachts den Weckerstellte und dachte: Dies war der alte Tag, und morgen beginnt ein neuer … Zoltan reichte Ferda den Briefumschlag, und er zählte
     nicht nach, weil er sich sicher war, daß kein Geldschein fehlte, wahrscheinlich hatte er dem Hotelmanager mit einem Überraschungsbesuch
     von Patrioten gedroht.
    Sie stiegen hinab zur Margareteninsel, Ferda sah wie so oft in seinem Leben Ruinen, und zwischen den Mauerresten Menschen,
     die die Ruinen bestaunten, der verliebte Adjutant begann ohne Aufforderung zu reden, die Südspitze wäre einst eine

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