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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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leid, er würde mir nicht dabei helfen, ich sollte doch bitte sehr nach
     einem anderen Mitbringsel suchen. Ich stieg in sein Familienauto ein, soweit ich wußte, war er nach zwei Scheidungen ein Junggeselle,
     der jedem Mann und jeder Frau riet, auf einem anderen Gebiet als auf dem der Ehe und der Eheschließung leichtsinnig zu werden.
    Wir fuhren über die Brücke zum westlichen Ufer und folgten der Donau in südlicher Richtung, auf der Höhe Kranfeld in Neuofen
     sah man die Landspitze der Tschepele-Insel, dann passierten wir Sachsenfeld und Sauwinkelgraben, zwischen der Tetinger Haide
     und Promontor im zweiundzwanzigsten Bezirk befand sich der Park – ich folgte unserem Weg auf der Landkarte mit deutschen Ortsnamen,
     und jedesmal, wenn ich einen Namen ausrief, schüttelte er mißbilligend den Kopf, wahrscheinlich machte er sich Vorwürfe wegen
     seiner Vertrauensseligkeit. Ich mußte schwören, daß meine Großeltern nicht zu den vertriebenen Ungarndeutschen aus Transdanubien
     gehörten. Schließlich stand ich vor dem Ziegelportal, in den Nischen rechts und links vom Haupttor waren die vom Sockel gestürzten
     Heiligen eingelassen, und je näher ich an sie herantrat, desto mehr wuchsen sie in die Höhe, Marx Engels Lenin, lächerliche
     Gespenstergenossen, die Abbilder waren gefangen in Mauerlöchern, vorbei die Zeiten, daß man Knechte zwang, Kohorten zu bilden,
     vorbei die Tage, da die Knechte übermannsgroße Spielzeugfiguren anbeten mußten – doch man stürzte Götzenbilder und stellte
     auf die Sockel andere erstarrte Gespenster.
    Arad stieß mich mit dem Ellenbogen an und mahnte, ich sollte bloß nicht wie ein Wallfahrer auf die Knie sinken, wir betraten
     den Park durch den Seiteneingang, überall Statuengenossen, Heldendenkmäler, Freundschaftsdenkmäler, Denkmäler der Kämpfer
     der Arbeiterbewegung, Denkmäler der Helden der Volksmacht, Denkmäler der Räterepublik, dasDenkmal der Märtyrer der Konterrevolution, das Relief der Wächter des Friedens, Büsten, Gedenktafeln, und in der Mitte der
     Anlage der rote Blumenstern auf Rasengrund – Arad zählte alles hastig auf, während wir auf dem Kies schritten. Es hatten sich
     an diesem trüben Sonntag nur wenige Besucher eingefunden, sie machten den Eindruck, als wollten sie nur einige interessante
     Objekte fotografieren, um schleunigst zu verschwinden. Sie hatten sich für den falschen Sonntagsausflug entschieden. Dann
     blieben wir an einem bannertragenden sowjetischen Soldaten stehen, und der Mann und die Frau drehten sich gleichzeitig zu
     uns um, die Frau richtete sofort das Wort an mich, ich schwieg wie versprochen.
    Nach einer kurzen Unterhaltung mit Arad sagte sie: Ich bekomme sehr selten einen Deutschen mit braunen Augen zu sehen, Sie
     irritieren mich … Was sollte ich tun? Sie war schön, sehr schön sogar, das ostblocknostalgische Kleid tat ihrer Schönheit
     keinen Abbruch, ein dünner Streifen weißen Lidstrichs folgte dem Verlauf der Lidränder, und das Rouge hatte sie von den Jochbögen
     bis zu den Schläfen verstrichen – was sollte ich tun? Ich geriet fast immer an Menschen, die betrübt waren über das Verschwinden
     der alten Gegenstände und den Verlust der alten Freunde, und sie verwandeln sich im Kummer zu Blaufärbern ihrer Träume. Doch
     sie … Eszter konnte man schwer überlisten, obwohl ich sie nicht kannte, wußte ich, sie überragte alle Männer in ihrer Umgebung.
     Sie sagte: Alles Große steht im Sturm, der Krempel aber steht im Park … Sie sprach jetzt zu Arad, ein einziger Satz, und er
     knickte in den Knien ein, als hätte man ihm einen Schlag versetzt, ich hielt ihn am rechten Arm fest, er … Zoltan faßte links
     unter, er tat mit unserer Hilfe einige Schritte und ließ sich auf den Rasen zwischen den Statuen fallen. Er weinte, wir bewachten
     ihn beim Weinen. Mein Vater ist tot, sagte sie plötzlich, ich kenne den Mörder, man wird ihn für den Mord nicht belangen.
     Ihren Freund hat die Nachricht sehr getroffen,die beiden kannten sich schon seit der Schulzeit. Können Sie auf ihn aufpassen? Lassen Sie ihn nicht fahren …
    Ich habe keinen Führerschein, rief ich ihr nach, nur Zoltan drehte sich kurz um und ballte die Faust zu einer Drohgeste, dann
     lief er der Vorauseilenden hinterher. Ich half Arad auf, und wir verließen den Park, er setzte sich in den Wagen und stierte
     durch die Windschutzscheibe. Das war die Tochter des ersten Abtrünnigen, sagte er, so hat die Gegenseite ihn genannt, meinen
    

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