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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Sandbank
     gewesen und allmählich mit der großen Insel verwachsen, weil sich Schwemmgeröll angelagert hätte. Er dankte ihm für die Wiederbeschaffung
     des Geldes sowie dafür, daß er mit ihm sprach, und zum ersten Mal sah er Ferda nicht feindselig an. Der Wasserturm ragte wie
     eine von großen Stricknadeln getragene Hutschachtel in die Höhe, sie verließen den Spazierpfad, gingen durch die Wandelhallen
     und betraten die Eingangshalle des Turms. Es überraschte Ferda nicht besonders, daß die Kassiererin bei Eszters Anblick herbeieilte,
     um ihr die Hand zu küssen, sie ließ es geschehen, es überraschte ihn nicht, daß es keinen Aufzug gab, er stieg die Treppen
     hoch, zählte die Stufen und hörte erst wieder damit auf, als Zoltan durch den Stoff in seinen Rücken kniff: Daß er Zahlen
     auf deutsch aufsagte, mißfiel ihm.
    Dann standen sie auf dem Balkon ein Stockwerk unter der Turmspitze, es hätte ihm gut angestanden, sich über die schöne Aussicht
     zu äußern, er tat es nicht, er wäre sich wie ein Heuchler vorgekommen. Er sagte: Was tun wir hier? Ist es wieder einer Ihrer
     Irrsinnsschübe? Wollen Sie mich hinabstoßen? … Was wir hier tun, ist Zeitvertreib, sagte Eszter, Sie sind nicht Teil irgendeines
     Plans, vergessen Sie einfach das lächerliche Streichholz. Arad wird genesen, und ich werde ihn wegen gewisser Ungereimtheiten
     befragen müssen … Zoltan streckte ihr die Schachtel hin, sie zog eine Zigarette heraus und ließ sich Feuer geben, und als
     sie den Rauchdurch die Nase ausstieß, entschied sie, daß es Zeit wurde, und bald folgten sie dem Hauptweg zur Südspitze, bis sie an einem
     Musikbrunnen ankamen, die Fontänen spritzen zu den Mißklängen pathetischer Lieder, Ferda glaubte, es werde wie an vielen Plätzen
     der Stadt auch das Vaterland besungen, doch Zoltan berichtigte ihn und wies ihn zurecht: Die Kleinen und Krummgewachsenen
     – einheimisch oder fremd – würden das Lichte und Wohlgeratene befehden, er hätte es satt, natürlich widerte auch ihn der Zuckergußfinalismus
     der Ungarn an, am Ende sterben die Besten, das wäre der ungarische Glaubenssatz, alles geht kaputt, nichts bleibt heil, in
     dieser Unheilserwartung lebten die Ungarn nicht erst seit dem Anbruch der roten Ewigkeit, und Ferda, der in sein reiches Land
     zurückkehren würde, sollte wissen, daß man nicht die Kleine Ofener Insel mit der Margareteninsel verbunden hätte, um es ihm
     recht zu machen, das Wasser des Brunnens schösse nicht in großen Strahlen hoch, um ihm zu gefallen – er forderte von dem Deutschen
     etwas mehr Zurückhaltung.
    Der Deutsche aber besah das sogenannte Zentenariumsdenkmal, von dem man ihm sagte, es wäre zur Hundertjahrfeier der Vereinigung
     Budapests errichtet worden, er erinnerte sich an den südböhmischen Stahlgitterkünstler, der beim Anblick dieses Schandwerks
     vor Freude gehüpft wäre. Er verkniff sich eine Bemerkung über metallgewordenen Kitsch, er wurde abgelenkt von Frauen und Männern
     in Ausgehkleidern, sie strömten aus allen Richtungen kommend zur Inselmitte hin, schöne olivenhäutige Menschen waren das,
     die halberwachsenen Mädchen steckten in Abendroben, und sie schauten sich heimlich nach Männern um, die sie heimlich anschauten.
     Eszter schloß sich dem Strom an, und je näher sie der Freilichtbühne kamen, desto größer wurde die Menschenmasse. Ferda erblickte
     unter den vielen Zigeunern nur einige wenige Weiße, die vor Freude zu glühen schienen, was in Gottes Namen geschah hier, welche
     Zaubersprüchewürde Zoltan gleich aufsagen, um seine Herrin zu schützen. Eine Mutprobe, dachte Ferda, seine Herrin fühlte sich wahrscheinlich
     genauso, als hätte sie sich mit dem nackten Po auf einen Ameisenhaufen gesetzt, und sie redete sich ein, daß die vielen kleinen
     Stiche ihr nichts anhaben konnten, ihr reiner Geist blieb unbeschadet. Eine Zigeunermatrone erstarrte bei Eszters Anblick,
     dann machte sie ein paar Schritte auf sie zu, küßte ihre Hand und steckte eine Rosenknospe in ihr Haar, eine andere Frau tat
     es ihr gleich, und bald waren die drei Weißen von übergewichtigen, herrlich schönen Frauen umgeben. Die Heilige Eszter. Die
     Rosenbekränzte.
    Zoltan übergab Ferda seine Eintrittskarte, er ließ sie von dem Einlasser entzweireißen, suchte seinen Platz und ließ sich
     auf die harte Plastikschale fallen, und als ein Hornsignal den Beginn ankündigte, waren innerhalb von wenigen Minuten fast
     alle Plätze besetzt, an die hundert

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