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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Musiker betraten die Bühne, ein alter Geiger übernahm die Rolle des Kapellmeisters und
     schwenkte den Bogen über seinen Kopf, dann schritt er feierlich zum Standmikrofon und zeigte mit dem Bogen in Richtung der
     Reihe, in der die drei Weißen saßen, und plötzlich erhob sich Eszter. Ferda zog die Füße ein, und in diesem Augenblick schaute
     sie dem Deutschen in die Augen, wie konnte er ihren Blick deuten, die Rosenbekränzte wurde auf die Bühne gebeten, und sie
     hätte einfach ihm den Rücken kehren und sich einen Weg auf der Betonstufe bahnen können, doch sie sah ihn erst an und ging
     danach weiter – was schwebte ihr vor? Zoltan sagte: Du irrst dich in mir. Ich bin ihr Halbbruder und passe auf sie auf. Dich
     habe ich die ganze Zeit im Visier, ich trau dir nicht. Humanisten hegen Sympathien für den Humus. Und du bist ein Humanist
     … Du sprichst Deutsch mit mir, sagte Ferda, wieso? … Meine Mutter ist eine Deutsche, sie hat mir nichts getan, also rede ich
     in ihrer Muttersprache. Mein Vater hat mich später bei sich aufgenommen. Er hat mir nichts getan, also bin ichUngar … (Was hätten die beiden Männer in Abwesenheit der Frau, die das Schlimmste verhinderte, tun sollen? Sie führten eine
     seltsame Unterhaltung, sie verwirrten einander mit Nebensätzen, mit unnützem Wissen, mit Hinweisen auf den verborgenen Sinn
     ihrer Worte, Zoltan fiel von einer Sprache in die andere, weil er Zeuge des besonderen Blicks geworden war, des Blicks, den
     sie auf Männer warf, die in ihren Augen mehr bedeuteten als die dienstbaren Geister, und mehr als die Rosenknospen in ihrem
     Haar. Als ihr die schönen Menschen applaudierten, verneigte sie sich tief, und bald saß sie wieder auf ihrem Platz, sie sagte,
     sie hätte die Zigeuner, die dies Land mindestens genauso liebten wie sie selbst, gebeten, sie zu schützen, nun wäre sie im
     Gnadenstand einer geschützten Rosenstreuerin. Tatsächlich sah Ferda, wie sich zu beiden Seiten der Sitzreihe junge Männer
     aufstellten, er verstand nichts, war das nicht die Frau, die vor der schleichenden Landnahme durch die Zigeuner warnte, jedenfalls
     hatte es Arad behauptet, und also flüsterte er in ihr Ohr: Arad hält Sie für eine Zigeunerhasserin, und sie sagte: Er ist
     nicht der, der er vorgibt zu sein. Außerdem sind Taschendiebe nur Taschendiebe. Das Zimmermädchen, das Sie um Ihr Geld erleichtert
     hat, ist eine Diebin, und mehr nicht. (Sie rümpfte natürlich über ›die ungewaschenen Mongolen‹ auf den Straßen die Nase, und
     sie drückte ihre Handtasche fest an sich, wenn sie an ihnen vorbeiging. Diese Menschen machten sie nicht neugierig, sie interessierten
     sie nicht besonders. Es fiel ihr auf, daß man ›in mongolischen Kreisen‹ über sie sprach, nein falsch, es wurde ihr zugetragen,
     und sie fand neuerdings Rosen ohne Stiel vor ihrer Haustür. Ohne ihr Zutun hatte sie Freunde gewonnen, die Zigeuner hielten
     sie für eine strenge Wunderheilerin, und wer war sie, daß sie sie aus einem vagen Gefühl des Desinteresses abwies.)
    Und nun sauste der Bogen des Kapellmeisters nieder, auf dieses Zeichen hin hoben die Streicher an, ein Schauerstückzu spielen, das Ferda aus alten deutschen Filmen kannte, immer dann, wenn ein von Schicksalsschlägen zerschmetterter Leib
     am Boden lag, erklang diese Musik. Er sah die drei Männer an den Konzertzimbalen die Schlegel heben, um dann auf die Saiten
     ihrer Hackbretter auf Beinen zu schlagen, der Deutsche schloß die Augen, da er in der Öffentlichkeit nicht überschäumen wollte,
     und da stand Eszter auf und begann auf der Stelle zu tanzen, erst wiegte sie sich vor und zurück, bald aber legte sie ihre
     anfängliche Schüchternheit ab und zog Ferda von seinem Sitz hoch. In der Umklammerung fühlte er zunächst nur die Scham, die
     einen Mann befällt, wenn eine begehrenswerte Frau ihn an ihren Körper drückt, nur ein Tanz, nichts weiter als eine höfliche
     Geste, denn er sollte unbekümmert sein, bestimmt wollte sie ihn nur in eine bessere Stimmung tanzen, bestimmt verschränkte
     sie ihre Hände mit den seinen, weil sie ihm einen Gefallen tun wollte, denn er hielt sich zurück, er war gefaßt, fast immer,
     denn er hatte die Verrückten, die Entrückten, die vom Vertrauten Weggerückten verfallen vergehen verschwinden gesehen … Sie
     tanzte mit ihm zum Zigeunerlied.
     
    In der Pause begleiteten Eszter und Zoltan ihn über die wieder zugängliche Margaretenbrücke bis zu seinem Hotel, sie standen
    

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