Hinterland

Festtagsschmuck von Bäuerinnen
     aus der Tragetasche holte, und gerade zeigte sie Schleiernadeln vor, als der Anbeter Renato ihr den orthopädischen Stock in
     den Magen stieß, er wollte sie vor sich hertreiben, sie, die er für eine Zigeunerin hielt, er wollte sie Stoß um Stoß dazu
     bringen, daß sie die Treppen herunterfiel und sich das Genick brach, doch eine Deutsche entwand ihm den Stock und gab ihm
     eine schallende Ohrfeige: An diesem Tag der Überfälle waren es ausnahmslos Frauen, denen die Opfer ihr Leben verdankten, waren
     sie dafür vom Schicksal erwählt worden, oder schrieb man es dem Zufall zu?
    Renato floh, so wie die meisten Anbeter nach der Attacke flohen, und sie kehrten zurück zu der bösen Sau, die es im Pferch
     nicht ausgehalten hatte. Ihr Meister wartete sitzend vor der Haustür, der Adjutant wies die Männer an, nur flüsternd zum ersten
     Anbeter zu sprechen, nur flüsternd zu bitten und zu danken, und sie beugten sich vor und raunten in das wachspfropfenverstopfte
     Ohr: Es ist getan, der Wirt des Café eklektika wird die Mädchen aus dem Westen nicht mehr durchHäme über die Patrioten betören; es ist getan, der alte Russe, der im Kaffeehaus an der Festung eine Dobostorte aß, zerbiß
     den Karamelguß, bevor er starb; es ist getan, dem Bettler am Seiteneingang der Zentralen Markthalle in der Pipa Straße schoß
     man laut Befehl in den Fuß; es ist getan, wie befohlen sind den Banden im Südbahnhof Verluste zugefügt, im Morgenzwielicht
     wird man jene finden, die unter Bäumen, hinter Sträuchern und in den Mausoleen des Keresper Friedhofs liegen, unbrauchbar
     nunmehr, unbrauchbare beschädigte Leiber, die von der Budaer Verräterin nicht zu rekrutieren sind …
    Und M. schüttelte immer wieder den Kopf, keiner in seiner Nähe wagte zu sagen, daß der Meister dadurch die graue Wattekugel
     herausgerüttelt hatte, er stand plötzlich auf und wankte fluchend zurück zum Hinterhof, seine Schweinejungen hatten die Ketzerin
     nicht ausfindig machen können. Wo steckte sie nur?
    Sie verschanzte sich immer noch hinter dem Container und hielt ihre Beschützer davon ab, aus der Deckung herauszukommen und
     den vier Anbetern hinterherzulaufen, sie schickte Arad mit den Worten weg, sie würde keine Vergeltung üben, er sollte nur
     den Pester Irren fürchten, der kein Feuer außer seinem Herrenfeuer duldete; viel schwieriger war es, den jungen Männern zu
     erklären, daß sie sie bis zum Westbahnhof begleiten konnten, dann aber müßten sie sich auflösen, genauso wie sie sich auflösen
     würde, sie riefe sie an, zwei Stunden nach Sonnenaufgang. Sie gehorchten ihr widerwillig. Als sie an die Tür des Deutschen
     klopfte, wurde sie sofort aufgerissen, er bot ihr im Zimmer Wasser aus der Minibar an, ich brauche diese Nacht einen Schlafplatz,
     sagte sie, ich weiß, daß ich dich damit bedränge, sie jagen mich, sie werden mich auch morgen jagen, ich brauche nur etwas
     Schlaf …
    Ferda betrat daraufhin das Badezimmer, und sie sah, daß er mit Toilettenpapier die Badewanne trocknete, um hernach dieTagesdecke hineinzulegen, er ging einige Male zwischen dem Bett und der Wanne hin und her, sie würde im offiziellen Bett
     schlafen. Sie war über seine altmodische Art belustigt, und aus einer Eingebung heraus fragte sie ihn nach einer Frau, von
     der sie ahnte, daß es sie in seinem Leben gäbe, mittlerweile unterhielten sie sich durch die geschlossene Tür, sie saß davor,
     eingehüllt von der Bettdecke, er lag in der Badewanne, bedeckt mit einer Jacke und einem Mantel, und da sie zu dieser späten
     Stunde nur flüsterten, mußten sie immer wieder den geflüsterten Satz wiederholen. Wieso interessierte sie sich für seine Liebe,
     für seine Geschichte von der absterbenden Liebe. Und er sagte und wiederholte die Sätze: Ich lasse mich verwickeln in fremder
     Leute Leben, und vielleicht, weil sie mich sehr gut kennt, glaubt sie, ich hätte mich nur zufällig begeben an einen Platz,
     den sie auch nur zufällig aufgesucht hat … Er sprach idiotisch daher, und also verstummte er, und sie sagte und wiederholte
     die Sätze: Die Radaystraße verläuft zwischen der Kalvin ter und der Boraros ter, eine Restaurantgasse, vielleicht bist du
     dort spazierengegangen. Man kann dort Gulasch essen, der nach den sieben Stammesfürsten benannt wurde. Man kann aber auch
     Pfannenrostbraten oder auch nur einen Schusterstrudel essen. Kannst du mich hören? … Bis jetzt ja … Einmal sagte mir ein Mann: