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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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des Gewirrs
     seiner Gedanken in jene unbeleuchteteSeitenstraße, die genau im Grenzgebiet zwischen dem fünften und achten Bezirk lag. Die Stadtherren der neuen Zeit waren sich
     nicht einig geworden, ob sie den Klinkerschlot der stillgelegten Ziegelei abreißen lassen sollten oder nicht, und am Ende
     hatte man sich damit begnügt, die Vakuumstrangpresse, die Trockenkammer und den Tunnelofen abzubauen. Der erste Inhaber wies
     die Arbeiter an, über den großen Bestand an Hohllochziegeln kein Wort zu verlieren, der letzte Inhaber ließ die Ziegel zu
     Wandmauern aufschichten und unterteilte die Räume des angrenzenden Werktätigenwohnheims in kleine und große Nischen. Und nun
     trifft sich das Gesindel hier, dachte Arad, und wenn das so ist, wieso habe ich ihr diesen Treffpunkt vorgeschlagen.
    Er ging durch den breiten Korridor und bemerkte die Ausländer, die gegenüber der Damentoilette standen. Immer dann, wenn die
     Tür aufging, begannen sie zu wimmern und zu johlen, aus Freude darüber, daß sie einen kurzen Blick auf die halbnackten Frauen
     an den Waschbecken werfen konnten. Die Steppeisen an Spitze und Hacke seiner Schuhsohlen klackten bei jedem Schritt, er hielt
     es für angebracht, in Anbetracht der Begegnung auf das Hinken zu verzichten, und als er in den Innenhof trat, wäre er wegen
     des Lärms von einigen hundert Menschen fast hingefallen.
    Sie hatte ihn natürlich sofort ausgemacht und winkte ihn an den Tisch im hinteren dunklen Winkel, er bat öfter, als ihm lieb
     war, darum, daß man ihm den Platz zum Durchschlüpfen freiließ, dann kämpfte er sich einfach den Weg frei, ein böser junger
     Mann versuchte, ihm ein Bein zu stellen, und da es ihm nicht gelang, rief er ihm nach, er sollte seine Inkontinenzwindel wechseln,
     er würde stinken. Warte, bis es soweit ist, bald wirst du vor Angst krank werden, und du wirst den Rat deiner Großmutter beherzigen
     und Roßkastanien in die Hosentasche stecken, sie, die Kräuterhexe, wird dir weismachen wollen, daß dir die Kastanien das Siechtum
     vomsaugen werden. Aber alles umsonst. Keine Gnade, denn es hat schon begonnen. Wie haben die Schlachthelme aufgesetzt.
    Eszter verweigerte ihm den Handkuß, sie sagte: Du dienst also auch dem Mumienhandschnüffler – es war keine Frage, es war eine
     Feststellung. In diesem Moment stellte der Kellner ihm ein Glas rubinroten Rotwein auf den Tisch, wie konnte sie davon wissen,
     daß er sich für den langen Fußmarsch belohnen wollte, indem er sich einen schönen Schwips antrank, er nahm einen Schluck und
     sagte, es wäre keinesfalls so, daß sie ihn enttarnt hätte, denn er tat nichts verdeckt und verheimlichte auch keine Absprache,
     für ihn gäbe es kein Tauziehen zweier Mannschaften, keine offene Schlacht verfeindeter Patrioten, einige wenige Heißsporne
     in beiden Lagern würden allerdings von ihrer ersten Pflicht der Volksaufklärung absehen und älteren Herrschaften nachsetzen
     …
    Während dieser Mitläufer in immer neuen Anläufen versuchte, eine Landkarte zu zeichnen, vielmehr eine Wetterkarte der Hoch-
     und Tiefzonen über den Köpfen jener, die ahnungslos dahinlebten … währenddessen blickte sich Eszter um und entdeckte auf der
     Empore eine betrunkene Frau, sie wischte mit den Roßhaarzöpfen über die Schnurreibtrommel, und da der Brummtopf ein traditionelles
     Instrument der Volksmusik war, lächelte sie, sie lächelte nicht mehr bei der Erinnerung an ihren Vater, der ihr auf der Krugdudel
     vorgespielt hatte, seine Hände waren mit dem Schilfrohr an der Schweinsblase hoch- und heruntergerückt, und weil er manchmal
     fester als nötig anpackte, war der Tonkrug zerbrochen – Eszter schrie Arpad zu seinem Entsetzen ins Gesicht, sie sprang ihn
     über den Tisch hinweg an und begrub ihn unter ihrem Körper, und schon krachte der Backstein auf die Holzbank, auf der Arpad
     gesessen hatte. Ein Splitter schlitzte einem Mann die rechte Augenbraue entzwei, sonst aber kam niemand zu Schaden.
    Und dann schauten sie genauer hin: Am Backstein wardie rechte Vorderpfote eines Schäferhundes mit Paketschnur festgebunden, dies konnte nur ein in nächster Nähe sitzender junger
     Veterinär erkennen, doch es gab noch den einen oder anderen, der das Zeichen richtig deutete, ohne die linke von der rechten
     Pfote, ohne Vorderlauf vom Hinterlauf unterscheiden zu können. Sofort stürzten sich die Zigeuner auf die Rosenbekränzte und
     den Alten, sie halfen ihnen auf, stießen die Männer zur Seite und

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