Hinterland
und seltsamerweise auf den leicht schmutzigen
Boden gelegt, doch er wollte sie ja nicht der Lügenhaftigkeit überführen, also leuchtete er ihr den Weg und folgte ihr in
einem Abstand von einem großen Mannesschritt.
Nach zwei Kehren standen sie vor der dunklen Stelle, die aufgewühlte Erde war wegen der Kälte verbrockt und würde aber, wenn
man sie zerdrückte, zwischen den Fingern zerrinnen. Olivia ging in die Hocke und verharrte eine Weile, dann bat sie ihn, den
kleinen Klappspaten herzuholen, sie würde sich ganz sicher nicht ängstigen. Er eilte zurück in die Obererde und fand sie in
der Untererde an derselben Stelle stehen, sie sagte etwas über ihre eingeschlafenen Beine und trat beiseite. Es ärgerte Heliodor,
daß sie ihm die Arbeit übertrug, sie wollte sich die Hände nicht schmutzig machen und würde aber, falls sie auf eine zerbrochene
Phiole oder eine Fetischfigur stießen, ihn beiseite drängen. Er fing an, mit der Spatenspitze vorsichtig zu wühlen, und weil
er sich dabei vorbeugte, hing ihm bald das Hemd hinten aus der Hose. Er verließ sich auf Olivias Gespür für die verborgenen
Einzelteile und sah immer wieder zu ihr hin, die sie mal auf lehmartig verschlickte Klumpen, mal auf von hellbraunen Schlieren
durchzogene Buckel zeigte, doch sosehr er auch das Untere zuoberst wühlte, er förderte nur kleinen Abfall zutage. In ihren
Augen glimmende Flecken. In Erwartung eines schönen Funds branntesie und glühte sie, sie glühte Heliodors Rücken an und griff nun zum Hemdzipfel und zog ihn weg von der dunklen Stelle. Es
blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr den Spaten zu überlassen, und bei ihrem ersten Spatenstich hörten sie einen harten
Laut. Sie kniete sich hin. Sie stocherte mit den Fingern blind zwischen den Erdkrumen, und als sie es sah, im Schein der Taschenlampe,
schrie sie und richtete sich auf. Sie hatte es gesehen, das Einzelteil, und weil sie vom leichten Schwindel fast zu Fall gebracht
wurde, hielt er die Taumelnde fest, sie aber riß sich los und rannte weg.
Der Widerschein des Lichts im blinden Spiegel. Ein leerer Platz dort, wo sie gestanden und gehofft hatte, daß des Äffchens
Weissagung auf der Tafel wahr würde, daß die Luft, die sie umgab, viel mehr verbarg als enthüllte. Daß kein Mann sie milde
stimmen könnte: Das Tote war nur totgeglaubt, das Tote tauchte auf. Später überzeugte Heliodor diese schön verrückte Tschechin
von seiner Unschuld. Viele sanfte Worte. Viele Tassen Tee. Sie konnte ihn doch nicht wirklich für einen Mörder halten. Er
verscharrte keine Leiche im Weinkeller, seine Frau hatte es Olivia gleichgetan und den Ehemann, also ihn, verlassen. Sie ging,
wie andere Frauen gehen, wenn die Aufmerksamkeit des Liebhabers nachlässt. Im Laubengang des hellen Himmels – eine Arkade
in einem Krakauer Vorortviertel – hatte sie ihn heftig geohrfeigt, weil sie glaubte, ihm auf die Schliche gekommen zu sein,
doch zu der Zeit unterhielt er keine heimliche Beziehung zu einer Lehrerin oder zu der ältesten Tochter des Polizisten, der
in ihrer Straße wohnte, er wurde der Affären verdächtigt, die er nicht unterhielt, und war das nicht alles bemerkenswert geschmacklos:
Wie konnte man einen Bogengang, der an kleinen Unterwäsche-, Strumpf- und Hutläden vorbeiführte, einen Laubengang nennen?
Wie konnte man, ohne sich zu genieren, einen Gang mit dem heiteren Himmel in Verbindung bringen? Wie konntesie, seine gewesene Frau, die Plastiktüten mit ihren Einkäufen erst abstellen und ihm dann eine Ohrfeige geben, daß ihm der
Kopf noch am drauffolgenden Tag davon schmerzte wie nach einem Besäufnis? Er hätte sie damals nicht morden wollen, und daß
die besagte Lehrerin, kaum daß seine Frau auszog, bei ihm sechzehn Nächte in Folge verbrachte, war eine schöne Art des Zufalls,
sich zum Schicksal zu vervielfachen.
Seine Unschuld – ein altertümliches Wort, das er benutzte, um Olivia in dieser Stunde ihrer Mißstimmung zu erheitern. Er schwor
auf die Zlotys und die Groschen in seiner Geldbörse, er schwor auf die Pflaumenkerne und das Schälchen, er schwor auf die
Vorräte, die er angelegt hatte, weil er wegen der jahrelangen Armut die Knappheit fürchtete. Seltsame Schwüre. Natürlich lachte
sie nicht, sie dachte über den Fund nach: ein menschlicher Unterkieferknochen, schmutzig bleich und an der Kinnlinie gesplittert,
kein Totenschädel, aber ein Einzelteil, sie hatte den Kiefer versehentlich
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