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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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plötzlich inne, sie hörte von oben das Klopfen, der Vermieter schlug den Kochtopf gegen die Tischkante, um sie
     hochzurufen, sie verabschiedete sich von ihrem Mann mit den Worten, wenn man tief die Erde abtrug, würde man noch im Krakauer
     Boden Tatarenpfeile finden.
    Und während sie hinaufstieg, die lange Wolldecke wie eine Schleppe hinter sich herziehend, zählte sie die Risse im Stein der
     Stufen, brach aber mittendrin ab, als Heliodor auf der Kellertürschwelle erschien. Sie machte ihm ein Zeichen, das er als
     Aufforderung verstand, ihr in den ausgemauerten Hohlraum zu folgen. In dieser Stadt der jubelnden Wallfahrer lernt man mit
     gesenktem Kopf daherzuschreiten, die Inbrunst war das Geschenk des Menschen an den Himmel, und auch wenn er den Dogmen nur
     Verachtung entgegenbrachte, er wollte nicht halbherzig erscheinen, und also beugte er den Kopf wie ein bußfreudiges Kind,
     das wider besseres Wissen fürchtet, sich den Kopf an der niedrigen Decke zu stoßen. Kaum hatte sie Platz genommen, sprach
     sie ihn mit diesem alten tschechischen Namen an, Heliodor, sagte sie und schwieg ihn dann an, als Lichtduft hatte sie den
     Namen für ihn übersetzt und seinen Hinweis, daß Licht nicht duften würde, einfach übergangen, so wie sie auch jetzt seine
     Gesten der Ungeduld überging.
    Aus lauter Verlegenheit erzählte er von den Krähen auf der regennassen Parkwiese, sie hackten mit dem Schnabel in die Erde
     und zerrten Regenwürmer heraus, er hatte sie bei der Futtersuche beobachtet und war aber abgelenkt von einem kleinen Schwarm
     von Kindern mit bunten Schulranzen, die aus der Ferne wie gelbe und rote und grüne Wachsflügel aussahen, und weil aber weder
     die Krähen noch die Kinder aufgeflogen wären, hätte er schnell das Interesse an diesen Dingen verloren. Was meinst du mit
     den Dingen? sagte sie, und er sagte: All das, was in deinen Tagträumen vorkommt, die tropfenden Schwingen, der Schrei eines
     kleinen Mädchens, das sich über ein neues Geschenk freut, zerbrochene Bleistifte, zerbrochene Pfeile …
    Er schaute auf die Schale zwischen ihren Händen, sie hatte darin die benutzten Teebeutel abgelegt, vielleicht war sie kurz
     davor, aufzubrausen, hier im halbdunklen Keller kam er sich ungeschützt vor und würde ihr ausgeliefert sein. Wiesomußte sie die wichtigen Unterhaltungen unter der Erde führen, und weshalb war es ihr gleichgültig, daß er in seinem dünnen
     Hemd fror, in ihrem Gesicht las er die Zeichen, in seinem Gesicht las sie die Zeichen, es war also lächerlich, ihn ins Halbdunkle
     zu locken. Du willst dich von mir trennen, sagte er, und sie sagte: Ich lebe getrennt von meinem Mann. Außerdem kann ich mich
     nicht von dir trennen, weil ich aus dem Haus und aus dem Keller ausziehen müßte … Mir ist kalt … Ja, sprach sie, deck dich
     doch zu, so wie ich …
    Und er schob einen Korbstuhl neben den ihren, Armlehne an Armlehne, als er saß, warf sie ihm die Decke über die Schultern,
     sie versetzte ihm unabsichtlich Rippenstöße, weil sie die Decke auf ihren Beinen flachklopfte, jetzt konnten sie einander
     nicht ansehen, er streifte unabsichtlich ihr Ohr mit seinem Ohr und nahm sich danach vor, diese nicht entwürdigende nicht
     trostlose Situation nur merkwürdig zu finden, und er verdrehte den Kopf und sah sie mit der Schale spielen, der Leim war aus
     den aneinandergepreßten Scherbenbruchflächen aufgequollen und getrocknet, gelbe Adern überzogen das kleine Tongefäß, es wäre
     wahrscheinlich nicht angebracht gewesen, die Schale und ihre Hände an der Schale zu berühren. Auch der Herbst hatte schöne
     Tage, dieser war ein solcher Tag, draußen auf den Straßen spazierten Frauen in Mänteln von der Farbe dunkler Kirsche, und
     es kam vor, daß man in der Luft schwebende Bindfäden sah, weil der kalte Wind nicht nur Kastanien von den Zweigen riß, sondern
     auch leichte unscheinbare Dinge emporblies, und er hatte blitzschnell nach dem Bindfaden in Brusthöhe gegriffen, ein Griff
     ins Leere – ein kurzes Stück Faden bindet das Licht an die Leere, das hätte Heliodor ihr in diesem Augenblick am liebsten
     gesagt, doch sie wäre über seine Worte unglücklicher geworden, als sie es schon war. Bestimmt hatte es mit der dunklen Stelle
     am Ende des breiten Ganges zu tun, der an einer natürlichen Grotte im Felsgestein endete, was konnte er dafür, wenn sie sich
     nachtsdavonstahl, um ebendiesen Gang entlangzugehen. Dort gab es außer rostzerfressenen Nachttöpfen aus der

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