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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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kurzem mit Edison, dem Troll, entzweit
     hatte, und sie … und sie spielte mit den Männern wie mit falschen Nägeln.
    Nach meiner Danksagung und meiner Bitte, es nicht falsch zu verstehen, weil ich leider an dem Kauf der Pyramiden nicht interessiert
     wäre, nach einem Blick auf meinen vor Verlegenheit hochroten Kopf stand sie auf, rückte einen Schemel an meine Seite, setzte
     sich auf das rote Polster und raunte mir ein Gerücht zu: Mein Mann war Aufzugwärter und zuständig für die Liftbetreuung. Für
     die hohen Herren blieb er unsichtbar, sie sahen in ihm ja nur einen dienstbaren Geist, und Geister flattern in Kaminen, in
     Schloten und in Kabinen, die in Schächten auf- und abfahren. Mein Mann, der Geist, erfuhr viele prekäre Details aus dem Privatleben
     der Reichen und Mächtigen. Und eines Nachts, spät, sehr spät, kam er nach Hause und erzählte mir von den hundertvierundneunzig
     Holzköpfen. An der Kassettendecke des Gesandtensaals im Königsschloß. In Wawel. Wie Sie wissen, sind nur noch dreißig Kopfskulpturen
     erhalten, und wie Sie vielleicht auch wissen, haben einige laue nichtsnutzige Intellektuelle sich in Theorien ergangen über
     den Verbleib der Wawelsköpfe. Hat man sie außer Landes geschafft? Obwohl wir nicht Krieg führten gegen die Russen, aber die
     Russen uns bekriegten in der Nachkriegszeit – wurden die Köpfe als Teil der Reparationszahlungen uns geraubt? Steckt ein reicher
     amerikanischer Sammler dahinter? Mein Mann lauschte an jenem Tag der Unterhaltung zweier Herren im Aufzug. Er erfuhr, daß
     wir Polen dahinterstecken, daß die fehlenden hundertvierundsechzig Köpfe hier in Krakau sind. Versteckt in Tresoren. Versteckt
     in Kellern. Versteckt hinter Kartoffelsäcken. Versteckt hinter alten Lastwagenreifen. Versteckt vergraben verstaut versteckt.
     Was haben die Nichtsnutze gesagt, wo Sie suchen sollen? … In Kazimierz … Suchen Sie inWesola, suchen Sie in Kleparz, in Piasek, in Nowy Swiat. In diesen Stadtteilen werden Sie fündig werden, geben Sie aber nicht
     zu schnell auf …
     
    Wo war ich jetzt? Nicht in jenen Vierteln, von denen die Witwe behauptet hatte, daß dort die Köpfe in Säcken und Kisten lagerten,
     ich war im ehemaligen Judenviertel. Als Nebelgeist getarnt schlich ich durch die Gassen, und ich mußte lächeln über der Witwe
     Gerücht – nicht ihr Mann, ihr jetziger Liebhaber hatte für wenige Monate als Aufzugwärter gearbeitet, und sie verriet sich
     also durch den Flüchtigkeitsfehler. Die alten unbeschäftigten Männer: Sie wuchsen zusammen zu einer Schwefelbande, und sie
     belogen mich, den Deutschen in ihrer Stadt. Die Witwe: Sie malte mit dunkler Tinte Fabeln aus. Sie alle glichen bislang ungesehenen
     Geschöpfen in der Waldlichtung, sie tauchten auf, und sie verschwanden, und doch konnte ich sie entdecken, konnte ihre lügnerischen
     Münder riechen, konnte im dichten Nebel verschmorte Glühfäden und rot leuchtende Frauennägel erkennen. Wer versteckte die
     Köpfe?
    Und da trat jemand an meine Seite, jemand sprach mir ins Ohr: der mehrfach gefaltete Raum der Deutung, und ich erschrak mich
     zu Tode, verbarg vor Angst meine Füße im kleinen Haufen Herbstlaub, rote grüne gelbe Blätter, ich hörte ihn sagen, daß wir
     beide gleich die Betörung eines Mannes versuchen mußten, bald hieße in einigen wenigen Minuten, der Mann könnte schlecht mit
     einem Holzspieß zwei Nebelteufel im Vorgarten verscheuchen, wüßte ich eigentlich, was er meinte?
    Der Troll hatte also meine Spur nicht verloren, er hatte mich nur vorgehen lassen, seine Eingebungen waren stärker als meine
     Instinkte. Wir sind Rivalen, sagte ich einfältig, und natürlich ballte er vor Freude die Fäuste und lachte und lachte. Stocke,
     wildes Blut! rief er aus, und da mich aber der Unsinnseiner Worte nicht vertrieb, erzählte auch er eine Geschichte. Darin kam sein ehemaliger Geschäftspartner Jacek vor, ein
     miserabler Wirtschafter wäre er gewesen, der ihn, Edison, zermürbt hätte mit seinen Liebesgeschichten, er lernte nämlich vor
     der Totengedenksäule bei der Sankt-Nikolaus-Kirche empfindsame, in Wunschgebeten versunkene junge und reife Frauen kennen,
     und Jacek mischte sich unter die schönen Entrückten dieser Stadt und schloß einfach die Augen, blind für alle Reize und wegen
     des stillen Kummers anziehend für die trauernden Frauen, und was gab es deshalb für einen Seelenstau über dem Säulentürmchen,
     die angerufenen Seelen würden über dem Nebel und

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