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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Nebel stand, mußte man der Tollheit entsagen, soviel stand für ihn fest.
     Seine Gedanken. Als ich mich schon abwenden wollte, fragte er mich, welcher dunklen Spur ich folgte, und fast wäre ich vor
     Schreck weggelaufen. Fast gezittert und geblinzelt. Ich belog ihn, weil er es verdiente, der Illustrierte Generalanzeigersteckte eingerollt in seiner Manteltasche, das war eine mit unwichtigen Stadtnachrichten versetzte Liste des Tands im Angebot,
     er tat sich als gehobener Geschäftsmann hervor: Er durfte nichts anderes erwarten, als von mir belogen zu werden. Natürlich
     machte ich keinen Spaziergang, natürlich hatte ich laut Anweisung mich verlaufen. Den Wildschläfer trieb es immer an, entlang
     der Strecken der Gerüchtemacher allen Krempel aufzusammeln, er stolperte geradezu darüber, und es hatte mich keine Überwindung
     gekostet, ganze Abende zu verbringen: mit den Alteingesessenen. Und dann hatten sie es mir verraten, hatten sie mich losgeschickt
     im Nebel, in Vorfreude darüber, daß ich an viele Türen klopfen und aber mit leeren Händen zurückkommen würde.
    In seinem Zirkus der Obstkisten voller tränenförmiger Glühbirnen, der Glühbirnen mit den durchgeschmorten Glühfäden, in Edisons
     Warenlager war er der Troll, der vor den Touristen mit den Federbällen, Kerzenstummeln, Ballerinafiguren und Duftkissen jonglierte,
     er sprang manchmal in die Luft, bog die Beine und schlug die hohen Schuhabsätze aneinander – wo war er, und weshalb tat er
     dies alles? Seinen Nachbarn war er ein Greuel, den Ausländern aber gefiel der Edison, der Troll. Denn er gaukelte ihnen vor,
     daß er eigentlich in der falschen Zeit lebte und die Goldstücke, die er schweren Herzens von ihnen entgegennahm, bei Menschen
     meines Schlages gegen Brot und Zwiebeln eintauschte. Ich belog ihn, ich sagte: Du wirst es nicht gerne hören, ich suche Zerstreuung
     nach einigen guten Geschäften. Schicksalsschonende Hände, sagte er, ich wünsche Glück für dich, und Glück für mich, wir werden
     es schon finden.
    Und er trat wieder in den Nebel, der Saum seiner Schlaghose wischte über das Pflaster, dieses Geräusch des schleifenden Stoffes
     ernüchterte mich. Ich stellte mich an eine Hausfassade, machte mich klein, um den Freunden und Fremden auszuweichen – eine
     genaue Adresse hatte ich nicht, dieGerüchterauner, meist ältere unbeschäftigte Männer, wollten wohl prüfen, ob es mir gelänge, das verloren geglaubte Gut zu
     finden, es den Händen der Besitzer zu entreißen.
    Erst letzte Nacht ließ mich eine Witwe in ihre Wohnung eintreten, ich schlüpfte, da sie es für eine gute Bürgersitte hielt,
     aus den Schuhen, und als sie mich am Ärmel meines Pullovers zog, erstarrte ich nur für einen kurzen Augenblick: Lockte sie
     mich ins Innere, weil sie ihren Wahnsinn nach außen gestülpt hatte? Meine Gedanken. Dann aber verharrte ich reglos vor alten
     Beistelltischen, darauf standen sehr viele Styroporkegel, sie waren gespickt mit hölzernen Grillstäben, an deren Enden falsche
     buntlackierte Fingernägel klebten. Die Witwe erklärte, sie könnte mich verstehen, der Anblick der kleinen Nagelpyramiden würde
     einem das Atemzünglein flattern lassen, die wenigen Menschen, denen sie erlaubte, diese ihre Kunstwerke anzuschauen, wären
     berührt und ergriffen, sie müßte sich jedoch von diesen Stücken trennen, weil die Nagelstäbe sie an kleine Lanzen erinnerten,
     an Werkzeug des Krieges also, und der Gedanke, daß man sie für eine Militariasammlerin hielte, plagte sie schon seit Wochen.
    Sie verschwand in der Küche, kam mit belegten Brotscheiben zurück, die sie auf einem Porzellanteller zu einer schiefen Säule
     aufgetürmt hatte, ich aß zwei Scheiben, meine Frage, was sie dazu bewogen hatte, Styropor zu bespicken, ließ sie unbeantwortet,
     sie berief sich seltsamerweise auf ihren Familienstand, als Witwe dürfte sie keine privaten Geheimnisse ausplaudern, nicht
     vor einem jungen Mann, das brächte sie nur in Verruf. Ich wußte aber, daß sie eine geheime Liebesbeziehung zu einem Altwarenhändler
     unterhielt, und vielleicht hatte sie mich herbestellt, um ein bißchen mit mir zu spielen – als schöne Frau traf sie ihre Wahl
     unter vielen Bewerbern, und daß ich noch nicht um sie geworben hatte, war in ihren Augen ein verzeihliches Versäumnis. Bildete
     ich es mir nur ein? Die Dutzende Kegel gehörten in die Mülltonne, dieBeistelltische stammten aus den Lagerraumbeständen ihres Lieblings, der sich erst vor

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