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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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berührt und war deshalb aus der Fassung geraten.
     Seine Frau? Seine schlagende Frau im Laubengang des hellen Himmels? Nein, sagte sie, vielleicht bist du kein Totschläger,
     vielleicht bist du nur ein wohlgestimmter Mann. (Jubelnd oder still ziehen die Wallfahrer durch die Gassen. Jubelnd erstehen
     die Touristen polnische Alltagsgegenstände oder Christusfiguren aus Holz. Die ehemalige Ehefrau von Heliodor hat im Laufe
     der letzten Jahre hundertzwölf dieser Figuren gekauft, sie sind in ihren Augen nur Sammlerstücke, und sie träumt davon, ihre
     Sammlung einem Museum zu vermachen. In dieser Stunde Olivias schwindender Mißstimmung geht sie durch die Straßen der Altstadt
     und beschaut die Waren in den Schaufenstern. Heliodors Unschuld ist für sie bewiesen, sie hat ihn damals einfach nur ein Mal
     hart schlagen wollen. Im Herbst einen Mann verlassen, das war ihr Wunsch, und sie machte diesen großen Wunsch wahr. Jetzt
     ist wieder Herbst, und der heftige Wind stößt sie voran und vorbei an Heliodors Haus. Es brennt Lichtin einem Zimmer, Schattenspiele an der Wand. Sie schreitet lächelnd vorbei.)
    Als er schon glaubte, sie überzeugt zu haben, sagte sie: Ich traute meinem Mann nicht, es gab sehr viele Frauen, die ihm nicht
     trauten. Man hat mir hinterbracht, daß man ihm die Schuld gibt für den Selbstmord eines jungen Schauspielers. Er und du seid
     verschieden. Eine Gemeinsamkeit habt ihr aber doch: Ihr macht euch verdächtig. Ihr seid die Abkömmlinge des Äffchens, des
     Meisters der Luftsprünge. Wenn ich dich bei einem Luftsprung erwische, bin ich weg – und es wird nicht bei einer einzigen
     Ohrfeige bleiben.

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    Wo war ich? Sie hatten gesagt: Geh aus der Altstadt heraus, an der Stelle, an der sich der Grüngürtel öffnet, du läßt das
     Königsschloß im Wawel rechts liegen, immer geradeaus, immer gegen den Menschenstrom, in schnellen Schritten, manchmal auch
     im Laufschritt voran, und dann mußt du dich im Gassengewirr im Kazimierz verlieren. In den Gassen, die Jacuba Estery Kupa
     Izaaka Nowa Josefa heißen, wirst du dich finden, nichts ist so belassen, wie es die Stadtväter erbauten, manches Haus hat
     einen neuen Anstrich, mancher Tempel steht in altem Glanz, dort, im erzalten Stadtkern, bist du richtig.
    Ich tat, wie mir gewiesen. Als junger Kerl erwartete man keine Schonung, und ich rechnete also damit, daß sie mich in die
     falsche Richtung geschickt hatten. Nicht allen Reifeprüfungen war ich gewachsen, ich verbarg mich viel zu oft, und sie versammelten
     sich unter meinem Fenster und lockten mich mit lautem Lachen. Ein gescheiter Pole wedelte mit einem Rezeptbuch der vorletzten
     Jahrhundertwende, ich kaufte es ihm ab, ich verkaufte es an einen Sammler, ich machte Gewinn. Sie nannten mich: den Schrotthändler.
     Der nostalgischeBürger war mein Kunde, einem deutschen Zwischenhändler vertrauten sie mehr als einem Einheimischen – ein großes Mißverständnis.
     Ich sah aus wie ein Angestellter in einer Wechselstube, ich wechselte Goldstücke der Bürger gegen das Blech aus meiner Truhe.
     Nicht zittern, nicht blinzeln, nicht die Augen weiten: Das waren die Regeln.
    Wo war ich? Der Herbstnebel verbarg sie alle, die Besucher, die Spätaufsteher, die Studenten, die Marktfrauen, und wären sie
     so lang wie ergeben, könnten sie in die Kamine spucken. Meine Gedanken. Meine vorsichtige Erkundung nach dem Geheimnis – ein
     Haus war ein Seelengrab, und die Seelen schwiegen nicht, sie rissen auch nicht die Lebenden zu Boden, sie lauerten keinem
     Drachentöter auf. Den Seelen galt meine Liebe, ich stieß auf keine Gegenliebe, weil ich ihnen ihre Gerätschaften entriß, die
     Aussicht auf den ewigen Kummer ließ die Besucher die Spätaufsteher die Studenten die Marktfrauen Frohsinn vortäuschen. Sie
     ergaben sich aber doch alle, vor Angst standen ihnen die Haare am Hinterkopf zu Berge.
    Jetzt trat aus dem Nebel ein Furchtsamer heraus, er betrieb ein halb illegales Geschäft für verbogenen und verätzten Krempel,
     seinen Laden hatte er nach dem ersten polnischen Kino ›Edisons Zirkus‹ genannt, und was sollte ich es also dem Zufall zuschreiben,
     daß ich ihn traf. Daß er mich ängstlich musterte. Daß er mir einen knappen Gruß entbot, als gälte es, nur die gebotene Höflichkeit
     aufzubringen.
    Ich sagte: Hast du wild geschlafen? Eine Locke steht dir hinten ab. Es gefiel ihm überhaupt nicht, wie ich mich verhielt,
     denn den Nebel konnte man nicht narren, wenn man im

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