Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
den Trauernden im Nebel schweben und schweben. Und Jacek, der Hund, würde
     davon unberührt die Augen öffnen, meist in jenem Augenblick, da ihn eine Frau anschaute. Auf diese Weise hätte er die listige
     Witwe Wislawa kennengelernt, ihr war dieser Mann aufgefallen, und sie hatte sofort beschlossen, ihn für sich zu beanspruchen.
     Jacek war jedoch kein Mann, der seine Gewohnheiten ablegte, der Quell seiner Alltagsfreude sprudelte in der Kopernika-Straße,
     an der Säule, dort trieb er sich herum, die Witwe wußte nichts davon, oder sie wußte es und bandelte deshalb mit anderen zugänglichen
     überhitzten Männern an.
    Was willst du von mir? sagte ich, du hältst mich auf … Du solltest mich nicht unterbrechen, sagte Edison, ein Geheimnis bliebe
     dir verborgen, wenn ich mir deine Grobheiten zu Herzen nehmen würde … Ich bin nicht grob, sagte ich und wühlte mit der Schuhspitze
     im Herbstlaub, ich war kurz davor, meine Suche aufzugeben, andererseits konnte ich davon ausgehen, daß mir der Wildschläfer
     an Straßenecken und in Hauseingängen auflauern würde, und so bat ich ihn fortzufahren. An der besagten Säule lernte Jacek
     eine Fremde kennen, sagte er, eine Polin mit leichtem tschechischem Akzent, eine Polin, die sich mit ihm über die Seelenschwärze
     unterhalten wollte, über leere verbrannte Seelen in der Untererde.Zunächst einmal hielt Jacek diese Frau für schwierig, für ungeeignet, aber wir wissen ja alle, daß jeder von uns sich erhofft,
     von einem Übel erlöst zu werden, und Jacek zeichnete eine unsichtbare Diskretionslinie zwischen sich und der Seltsamen, und
     solange sie sie nicht überschritt, wollte er ihr lauschen. Das alles begab sich übrigens zwischen Kaffeezeit und Abend, in
     diesen Stunden ist Jacek, der Hund, in guter Stimmung, er hat gut gegessen, er muß nur dort stehen und den bekümmerten Seelenrufer
     mimen. Die Polin erzählt ihm stockend, daß sie im Keller ihres Hauses, des Hauses ihres Geliebten, auf den abgesplitterten
     Kinnknochen eines bemalten Holzkopfes gestoßen sei, sie sagte tatsächlich Kinnknochen, und da wird Jacek hellhörig, es will
     ihm scheinen, als wäre er unverhofft an die richtige Frau geraten. Sie mißversteht ihn, sein Zentralgelenk ist der Mund, und
     weil er plötzlich spricht und spricht, glaubt sie, er hätte Hintergedanken. Hat er, auch wir hätten sie, seelenschwarz würden
     wir werden vor Lust, nicht aber vor Wollust.
    Sie hat ein schönes Geheimnis ausgeplaudert. Also folgt er ihr heimlich, er hat Angst, daß sie ihn entdeckt, denn sie schaut
     gelegentlich über die Schulter, nein falsch, sie starrt nach hinten auf den Boden, vielleicht befürchtet sie, von einem leise
     anschleichenden Hund gebissen zu werden. Er folgt ihr bis nach Hause, notiert sich in diesem lächerlich kleinen Büchlein,
     das immer in seiner Hosentasche steckt, ihre Adresse. Dann denkt er nach. Er kann unmöglich bei ihr klingeln und um Einlaß
     bitten, den würde sie ihm, den würde ihm ihr Liebhaber nicht gewähren …
    Und er hat dich um Mithilfe gebeten, stellte ich fest, es stimmt also nicht, daß ihr euch zerstritten habt … Wir sind keineswegs
     im Unfrieden auseinandergegangen, sagte Edison und zuckte zusammen, als ihm eine fast unsichtbare Gestalt im Nebel eine Schmähung
     zurief, ich ließ es geschehen, daß er sich bei mir einhakte, dieser Stadtteil galt bis vor wenigenJahren als Glasscherbenviertel. Noch heute strichen arbeitslose Wiegenschnitzer und Holzknechte durch die Gassen, sie stießen
     in ihrer Wut Schnapsgalle auf und spuckten sie vor die Füße eines Jungen, der nicht durch Hausfleiß noch durch mächtige Hand
     an der Axt sich auszeichnete – wußte er, daß man den Wipfel am gefällten Stamm lassen mußte, wollte man ihn zu Brennholz hacken
     und spalten? Wußte er, daß der Wipfel alles an Saft aus den Fasern zog? – nein. Und also spuckten und fluchten die Knechte,
     ihr Zorn traf mal einen nachlässig gekleideten Studenten, mal einen Altesachenhöker, er traf immer den Richtigen, und doch
     zogen die Knechte, einer nach dem anderen, um in die Außenbezirke. Es waren schließlich die neuen Zeiten ausgebrochen, da
     man im Gasthaus Hirschsteak mit Maronenkruste bestellen konnte, in der Überfülle aber verglomm der Lichtschein in der Höhe,
     und manch ein Schnitzer sprach, wenn er das böse Raunen aus dem Erdinneren vernahm, immer noch den Satz: Stein, Stahl und
     Eisen wehr ich durch deine Kraft.
    In ihren Augen war ich der

Weitere Kostenlose Bücher