Hinterland
Schäbigkeit
überwand, weil er das grelle Licht mied und das fahle Licht lieben lernte. Ich war machtlos gegen meine Ernüchterung, ich
konnte ihn nicht betrügen.
Alle meine Freundinnen, fast alle, taten es: Sie stellten ihrem Ehemann ein Tellergericht hin, und keine zwei Stunden später
lagen sie mit einem heimlichen Geliebten im Bett.Wieso? Es war verdächtig, wenn die Männer anfingen, nur über das Essen zu reden, ein Gourmet, das Gegenteil eines Liebhabers,
bat zwar nicht darum, daß der Koch die Pfannen und Töpfe vorzeigte. Er schnitt mit Messer und Gabel formvollendet ein kleines
Rechteck, und das zarte Fleisch löste sich auf seiner Zunge auf. Heliodor wurde zum Gourmet in seiner eigenen Küche, er brauchte
keine Zuschauer, er wurde satt und brauchte selten einen Nachtisch.
Ich liebte es, durch Säulengänge zu gehen, und nur dann, selten vor dem Einschlafen, wünschte ich mir einen Fremden, einen
Unharmonischen, einen vom Licht vieler Lampen Ausgeleuchteten, einen Mann, der mich anlächelte, weil ihm unanständige Gedanken
durch den Kopf gingen. Natürlich sprachen mich die Männer an, und ich konnte mich aber nicht entscheiden. Ein schöner Verlust
war das, keinen Hunger zu spüren und für alle Ewigkeit das Kochen und Bekochen zu vergessen. Es schmerzte der Verlust, natürlich.
Wir gingen herum, wir Seelen, wir erkannten einander, wir Seelen, wir litten, in der ersten Zeit des Glücks oder der Verdammnis,
an Kopfsausen, seltsame Laute hallten wider in unseren leeren leeren Schädeln, in unseren leeren leeren Herzen, und was uns
einst band, war nun verlass’nes Land, eine verlassene Küche, und wir vergaßen das Fleisch, das unter der Drahtglocke, geschützt
vor Fliegen, nicht verdarb, wir vergaßen den Zuckerguß im Spritzbeutel, den wir durch die Tülle drückten, wir … nein, ich
vergaß den Backpinsel, den Teigschaber, den Teigausstecher, die Schmorpfanne und den gußeisernen Bräter und die Stielkasserollen.
Denn man brachte mir bei, daß immer dann, wenn mich die Fetzen und Schleier aus weißem Dunst berührten, daß immer dann, wenn
ein großes schwarzes Stück in meiner Nähe zerbarst, daß ich wählen konnte: Zwischen diesem und jenem, und aber nie beides
zur gleichen Zeit. Entweder verbarg ich mich mit anderen traumbesessenen Seelen dort, wohin es die Gestorbenen verschlägt;oder ich schwebte über den Köpfen der seligen Jungfrauen und der harten Jungfern. Meist glitt ich hinab und schaute auf die
gefalteten Hände, die gebeugten Köpfe, ich beherrschte das Lippenlesen, und also verstand ich die Heiligsprechungsfürbitten.
Früher trugen die Frauen Palasthosen, damit die künftigen Propheten, die sie stehend gebaren, nicht auf den Boden fielen.
Heute trugen die Frauen enge Hosen, weil sie wußten, sie würden keine Gotteslieblinge gebären.
Diese und andere Geheimnisse enthüllte ich den Betenden da unten, es war mir erlaubt, und ich tat nichts Unrechtes, manchmal
rannte eine Frau nach Hause, um dies Geheimnis ihrer Tochter anzuvertrauen. Olivia aber kam und ging, wie durchlässig war
doch diese Frau, und ich mußte darauf achtgeben, daß sie mich nicht aufsog, eingesperrt mit ihrer Seele in ihrem Körper würde
ich große Mühe haben, hinauszufinden, ich würde ihr als verklebter Seelenrest andere jenseitige Worte eingeben.
Eines Abends schrie sie ihren Heliodor an, er sollte es durch ihre Augen sehen, und ich schlüpfte schnell in sie und sah hinaus
durch die Augenschlitze: Ich entdeckte eine längliche Holzdose, der Schiebedeckel halb gezogen, in den Fächern der Dose Steinchen
und Krümel und Sandkörner, dies waren die Mitbringsel eines Jerusalempilgers, und dies Holzgefäß gehörte ihrer Mutter – wir
Seelen kommen durcheinander, mal sehen wir, was das Kind sah, das zur Frau gereift war, mal sahen wir, was das Kind sehen
würde, wenn sein Blick Jahre später auf einen Gegenstand fiel. Verwirrt, vergangen, gestorben. Diese Olivia also trank Wasser,
trank Johannisbeersaft, trank Tee, sie betrank sich aber nie.
Wovon konnte sie nie fortkommen? Von den schönen Souvenirs ihrer Mutter, die in weiter Ferne im Nebel wandelte, und einmal
kreuzten sich unsere Wege, und ich sagte der wunderschönen Seele: Einen im Traum gehauchten Gruß würde ich dir gerne bestellen
wollen von deiner Tochter, dochsie kennt mich nicht, und wahrscheinlich spricht sie zu dir am Turm der lebenden Beter … Sie aber bedeutete mir, ihr zu folgen,
Weitere Kostenlose Bücher