Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
Stück, die Putzfrau bringt jedesmal eine Vase mit und steckt eine geschiente Gerbera hinein, sie knickt
     ja schnell nach dem Pflücken, wie Sie vielleicht wissen. Er gab zu, es nicht zu wissen, und sosehr er sich auch anstrengte,
     die Unterhaltung am Laufen zu halten, in der nächsten Viertelstunde schwiegen die Hausherren, ein jeder von ihnen starr vor
     Verlegenheit, wie hatten sie nur so viele seltsame Menschen hereinbitten können. Die Damen tranken Johannisbeersaft aus Wassergläsern,
     und die Männer … sie dachten nach. Über den Draht, der in den Stiel schnitt. Über ihre Ambitionen, von denen sie hofften,
     daß sie sie nicht einem unheilvollen Ende zuführten. Über die Frage, ob es unstatthaft war, bei der Arbeit schwitzende Putzfrauen
     anziehend zu finden. Über den Winter, über die Schneeflocken, über den schmelzenden Schnee auf den Haaren und die Rinnsale
     an ihrem Nacken, an ihrem Rücken.
    Und ich wollte doch so sehr auch in dieser Küche stehen, nur kurz zog die Kraft an mir, daß ich mich nicht aussetzte einem
     Schmerz, den ich nicht länger spüren durfte, ich gewöhnte mich doch so langsam an mein Seelentum. Plötzlich schaute Olivia
     in die Höhe, und auch eine der Damen, die Dame Vlasta, stellte das Wasserglas auf dem Boden ab, ihr Kopf ruckte hoch, doch
     ich war nicht dort, wo sie hinsahen, dort zitterte eine Spinnwebe, dort machte ein Äffchen einen Luftsprung, dort verfing
     sich ein Moosweibchen …
    Es ist unheimlich kalt hier, sagte der Deutsche, er wollte die Stille zersprechen, ich verstand ihn gut, in meinem früheren
     Leben hätte ich ihn nicht sofort abgewiesen, er zitterte sehr schön. Mein Heliodor schlug vor, in den Keller hinabzusteigen,
     und bald schwebte ich über seinem Kopf, an der dunklen Stelle, ein verletzter Käfer kroch zu ihm heran, vielleicht hatte er
     ihm beim Wegschlagen vom Mantelkragen ein Bein ausgerissen, die Dame Vlasta und Olivia standen in einiger Entfernung und unterhielten
     sich auf tschechisch über ihr Nasenbluten, über das Blut, das aus ihrer Nase schoß, wenn sie sich zu sehr freuten über Geschenke;
     über Luxusgerichte wie glasierte Gänsebrust auf Beifußjus mit karamelisiertem Rotkraut oder Crème brulée von der Gänseleber;
     über erwachsene Männer und eine erwachsene Frau, die nach Spielzeug für Erwachsene suchten. Aber sie wollten ja nicht spielen,
     es ging ihnen um einen guten Handel und um Geld.
    Viel zu lange war ich meiner eigentlichen Welt ferngeblieben, und ich fand mich nach wenigen Wimpernschlägen in der Nähe des
     zweiten Gestorbenen, und er erzählte, daß ein Amokfahrer ihn um das schöne Leben gebracht hatte: Er litt an Psychose, er entschied,
     seine Tabletten abzusetzen, eine Woche später fuhr er einen Fußgänger an der Ampel tot. (Die Seligen, sie machen sich miteinander
     bekannt und streifen auf diese Weise die alten Häute ab, Schicht um Schicht. Ihre Angst ist begründet, daß man sie zurückholte,
     erst am Ende aller Tage werden sie auferstehen: Dies passiert ihnen, denn sie sollen erkennen – auch in der als ewig genannten
     Zeit gibt es Ereignisse. Jene fremde Seele am Rande des leichten Nebels, es ist der zweiundzwanzigjährige Tomas, der junge
     Schauspieler, von dem sie alle dachten, Olivias Mann hätte ihn so lange zermürbt, bis er Hand an sich legte. Ein Ereignis.
     Er starb, er wachte auf, und er hörte eine Stimme hinter seinem Rücken: Wieso hattest du es so eilig, hierherzukommen?)
    Vielleicht bald würde ich mich endgültig entscheiden. DasFleisch der Pfauen verweste, natürlich, es half nichts mehr, Palasthosen zu tragen, und es langweilte mich, herabzublicken
     auf die Frauen am Totengedenkturm. Tau auf ihre Haare wünschte ich ihnen an.

[ Menü ]
     
    Hier in Berlin, in der Straße der Kastanien, erlebte Aneschka den Triumph ihrer Lieblingssachen, Geduldspiele, Wetterhäuschenmagnete,
     Bastelbögen, Streifen verschiedener Stoffe, zu Röcken und Kleidern geschnitten, hingen an Haken in schwach beleuchteten Schaufenstern,
     ich starrte all das an, allein, sie war nicht bei mir.
    Sie hatte mich angerufen in der Zeit des Morgenglanzes, und ich war enttäuscht, weil sie nicht von unserer Liebe sprach, sie
     bat mich um Hilfe. Die Zwergendame hielte sich in Krakau auf und wäre in undurchsichtige Geschäfte verwickelt, ein langes
     Telefongespräch hätte Aneschka davon überzeugt, daß sie auf der Schwelle zur Umnachtung stand, und nur ein Deutscher könnte
     sie freikämpfen, denn der

Weitere Kostenlose Bücher