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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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rätselhafte Lächeln auf den Gesichtern …
    Und weil ihn die Witwe dazu ermunterte, legte der Maler kurz die Schere weg und versuchte, dies bestimmte Lächeln zu imitieren,
     erst mußte er mit den Fingern die Mundwinkel hochschieben, dann gelang es ihm, natürlich zu lächeln, weil ihn die Witwe anstrahlte.
     Edison bemerkte widerwillig, daß ihn das Lächeln von einem mürrischen Nepper in einen gutaussehenden Spitzbuben verwandelte,
     und er ertappte sich dabei, wie er versuchte zu deuten: So lächelt man, wenn ein quälender Schmerz plötzlich versiegt. Wenn
     ein morgendlicher Tagtraum sich am Nachmittag erfüllt. Wenn man in einer Efeunische steht, die losen Ranken wie ein Vorhang
     aus Klettersprossen, man bleibt, von Nebel und Pflanze verhüllt, vor allen anderen verborgen – wenn man also in diesen Augenblicken
     der Schonung glaubt, man sei ein Eintagswesen. Das gefesselt ist von einer treibenden Wolke.
    Der Maler widersprach ihm nicht, da Edison in diesen Bildernsprach, und er geriet in des Malers Gelächter hinein, er verschwand im Efeu seines Lächelns und Lachens. Die Dame Vlasta
     dankte dem jungen Mann und bezahlte ihn für die Arbeit, die Witwe verriet ihm ihren Namen und versprach, bei nächster Gelegenheit
     zu prüfen, ob ihn die Lüge nur noch kleine Sprünge machen ließ. Sprechen wir Polen alle so seltsam? dachte Edison, ein drittes
     und kein letztes Mal an diesem Tag wurde er überstimmt, und er führte sie zu Fuß zum Keller der Köpfe.

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    Der ängstliche Heliodor – der Name, den die Neue ihm gegeben hat, paßte besser als sein eigentlicher Name: Wojciech. Damals
     fürchtete er, daß ich ihn verließe, irgendwann bald, irgendwann in der Zeit nach der Teestunde, irgendwann an einem bedeutenden
     Feiertag.
    Das Fleisch der Pfauen verweste nicht, und auch nicht das Fleisch der Seele, diesen Glauben konnte man den Lebenden nicht
     nehmen, dieser alte Glaube hatte Bestand, weil man ihn für beweisbar und für nicht beweisbar hielt. Auf diese Weise hob sich
     der Zweifel auf. Ich war eine der Seelen über dem Totengedenkturm, und manchmal erlaubte man mir, daß ich wie ein Ungestorbener
     durch die Straßen meiner Stadt zog, daß ich mich unter die betenden Frauen mischte, daß ich mich nachahmte: Unentschieden
     war ich immer gewesen, bis zu dem Morgen, da der Faden riß und ich für die kommende Ewigkeit vergessen mußte, mit nassen Schuhen
     im Regen zu stehen. Ich vergaß, ich wurde belohnt, ich empfand keinen Schmerz mehr. Es riß jemand hinter meinem Rücken ein
     Streichholz an, es sprach jemand dicht an meinem Ohr: Ein läuternder Schlaf, nun bist du aufgewacht. Und ich sah mich um,
     Nebel, flackernde Lichter im Nebel, die Nähe war ein großer glimmender Raum, die Ferne ein mit MyriadenScherben gespickter azurblauer Himmel, von dem brennende schwarze Stücke herabfielen, und sie zerfielen nach dem Aufprall
     in schwarze Augen, und diese Augen blinzelten kein einziges Mal. Sie konnten sehen, sie verstanden nichts. Ich ging über dies
     neue schöne Land und verstand immer mehr. Was hörte ich? Wenn man Packpapier knüllte und in einen Wegwerfbecher steckte, knisterte
     es beim Entknüllen.
    Dies Knistern hörte ich, und jemand dicht bei mir sagte: Hast du eine solche Landschaft schon betrachtet, kommt sie dir bekannt
     vor? Nein. Das andere Leben hatte begonnen, jenes, das ich in der Zeit, da ich lebte, für möglich und unmöglich hielt, es
     gab ja keinen Menschen in meiner Umgebung, der mich bat, klar zu entscheiden und zuzugeben, daß Gold wie Gold glänzte und
     wie Gold wog. Auch Heliodor, der harmonische Ehemann, hatte mich selten gedrängt, ich kochte das Essen, das mir schmeckte,
     und er aß mit, ich stellte ihm einen Teller hin, und er ließ an keinem Tag einen Anstandsrest stehen. Bissen für Bissen, Teller
     für Teller verging die Zeit, und wenn ihn eine unsichtbare Hand würgte, wenn er voller Unruhe einen Zipfel der Stoffserviette
     um den Finger wickelte, wußte ich, er wollte im Kellergang verschwinden, und ich stritt mich mit ihm. In den Nebensachen wurde
     ich zermürbt, ich warf ihm vor, daß er nur aß, daß er für eine kurze Weile meine Gegenwart duldete, um sich wieder der Hauptsache
     in seinem Leben zu widmen. So viele kleine verglühte schwarze Stücke fielen uns vor die Füße, und ich mochte nicht diejenige
     sein, die Worte wider seine Harmonie fand. Die ihm nicht folgen wollte in den dunklen Gang. Wojciech, der Mann, der die

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