Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
pfeift sie in der Melodie ihres sonstigen Gemurmels
     ein Gebet, es treibt sie die Angst voran, aber es geschieht ihr nichts, sie kommt heil zu Hause an.)
    Plötzlich bekam die Dame Vlasta Herzklopfen, es half nichts, daß sie die Luft anhielt, es half nichts, daß sie an ihren Schneidezahnspitzen
     zog, um durch diese Ablenkung den Körper mit einem anderen Schmerz zu beschäftigen, die Witwe stellte sich dicht hinter ihr
     auf, umgriff ihre Schultern, zwang sie, aufzustehen und vor ihr in kleinen Schritten durch die Wohnung zu gehen, und als die
     Türglocke ertönte, bugsierte sie ihre Freundin in den Flur, und was sollte Edison beim Anblick der Frauen mit hochrotem Kopf
     denken? Er ging hinter den beiden Damen her, die jede Diskretionslinie verwischt hatten, er kam zu dem Schluß, daß die Witwe
     diese Fremde wohl am Nacken massierend durch die Wohnung führte, um ihr die neuen Möbel zu zeigen, und das Alte war verschwunden,
     das Alte hatte sie nach dem vorzeitigen Tod ihres Mannes entsorgt. Sein Blick fiel auf die Styroporkegel und die glänzenden
     Nägel an den Spießen, und er sagte: Früher legten sich die Bauern in die Ackerfurche und warteten, bis der Geist oder der
     heulende Wind über sie hinwegzog. Die kleinen Steine zerkratzten ihr Gesicht. Heute fallen sie wie böse Geister Menschen an
     und bewerfen sie mit Steinen …
    Er hinterbrachte der Witwe die Neuigkeit, dann verriet sie der Fremden, daß dieser junge Mann, den die Bauern, die Tuchscherer,
     die Wamsmacher, die Seifenhändler, die Faßbinder, die Tierbalgabzieher, die Wiegenschnitzer, die Verkäufer von giftvertreibenden
     Arzneien und Hosenträgern … der Mann also, den all diese Leute nicht mochten, manchmal, etwas öfter als selten, sie nachts
     besuchte, um sie froh zu stimmen, und auch er war froh gestimmt, wenn er sie nach einerStunde, nach zwei Stunden verließ, was wollte sie ihrer guten Freundin aus Prag ihren Frohsinn verheimlichen. Edison schämte
     sich zu Tode, am liebsten hätte er ihr den Mund zugehalten, sie daran gehindert, ein weiteres Geheimnis zu verraten, statt
     dessen ließ er sich auf den freien Stuhl fallen und ließ sie davon erzählen, wie sehr es ihr gefiel, von mindestens zwei Männern
     im besten Alter begehrt zu werden. Von Jacek nämlich und dem Mann, den man der Einfachheit halber Edison nannte, das war der
     Meister der Gnadenstöße, jedenfalls wenn es um den Ruin von Konkurrenten ging, das war dieser hier, der mit jenem Geschäfte
     abwickelte, sie verteilte ihre Zuneigung zu gleichen Anteilen an die zwei aufstrebenden Geschäftsmänner, da sie – im Unterschied
     zu vielen anderen Polen – sich nicht einfach der neuen Ordnung ergaben – und außerdem sollte Edison bitte sehr ein Minzplätzchen
     probieren, sie wüßte, daß Minze im Winter bitter wäre, Bitterminz verklebte ihren Gaumen – was sollte Edison glauben?
    Die Fremde beäugte sie. Er traute sich zurückzuschauen, und da begriff er: Sie war kurz davor, ihm eine Frage zu stellen,
     eine für sie wichtige Frage, deshalb wandte er sich ab und bat Wislawa, den Plattenspieler auszuschalten, und ohne wie üblich
     ihn wegen seines Sehnsuchtsbanausentums aufzuziehen, kam er seiner Bitte nach. Endlich Stille. Die Dame stellte sich als Frau
     Vlasta vor, er ließ das Plätzchen in der Hosentasche verschwinden, wo es augenblicklich zerkrümelte, stand auf, gab ihr die
     Hand, setzte sich wieder hin. Jetzt, dachte er.
    Sie sagte: Wislawa ist ein freches Mädchen, das war sie schon immer. Sie meint es gut. Ich sehe ihr an, daß sie aufgeblüht
     ist. Sie entehrt nicht etwa das Andenken ihres Mannes. Ich glaube an folgendes: Wenn es gut ist, werde ich es nicht vergessen.
     Wenn es schlecht ist, wird es in meiner Erinnerung verblassen – Sie können mir folgen? … Ich verstehe Sie … Erstens: Schämen
     Sie sich nicht und schämen Sie sich nicht für sie. Zweitens: Sie machen auf mich den Eindruck, als wärenSie vor irgend etwas weggelaufen und als hätten Sie vorgehabt, Ihrer reifen Geliebten davon zu erzählen. Nur meine Anwesenheit
     hindert Sie daran …
    Du hast den Deutschen überzeugt, und ihr seid auf die Köpfe gestoßen, stellte die Dame Wislawa fest, das müssen wir feiern
     … Moment noch, sagte Edison, da gibt es eine Polin mit einem tschechischen Akzent, die nicht so will, wie wir es wollen …
     Eine weitere Tschechin in dieser Stadt, rief die Dame Vlasta aus, ich will sie kennenlernen … Konnte das gutgehen? Konnte
     er es

Weitere Kostenlose Bücher