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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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gleich weg, er
     hat nur zwei Runden gedreht. Ich saß mit dem Rücken zum Fenster, und er flitzte knapp über meinem Kopf hinein. Seine Flügel
     waren zur Hälfte blau, ein wahnsinniges Blau. Sie sagte: Du konntest es in der kurzen Zeit erkennen? Ja, sagte ich, bestimmt,
     weil es nur einige Sekunden gedauert hat.
    Sie würde ab und zu eine Nacht bei Iris verbringen, ob ich es akzeptierte oder nicht, ich hatte keine Wahl, und sie hatte
     sich entschieden. Wir führten keine schlampige Beziehung, das stand außer Frage. Sie verliebte sich in einen Mann, und sie
     verließ ihn nach einer Weile, ich kannte das alles nur vom Hörensagen, und sie sprach über diese Dinge nur, wie sie mirversicherte, damit in mir nicht die Hoffnung auf eine ernste Sache aufkeimte. Eine ernste Sache? Ich hatte Iris kein einziges
     Mal sehen dürfen, aber ganz sicher war ihr Glaube an die ernste Sache mit Sandra unerschütterlich. Es pendelt sich noch ein:
     Sie dachte das, und ich dachte das. Eine Dreiecksbeziehung machte zwei Beteiligte zu kaputten Narren, ich war verstrickt,
     und niemand hatte mich zu meinem Unglück gezwungen.
    Sie nahm mich bei der Hand und führte mich auf einen Platz abseits vom Flohmarkt, es war ihre Art, den anderen zu trösten,
     wenn sie ihm gerade eröffnet hatte, daß es keinen Riß im Himmel gab, aus dem Sterntaler herniederprasselten. Ich könnte mit
     ihrer Freundin die Kappen tauschen, es änderte nichts, sie blieb unverändert. Wie Butter in der Sonne schmolz mein Vergnügen
     dahin. Und dann sah ich ihn auf mich zuhinken, den Scheinblinden von der Kantine, ich erkannte ihn trotz der Rasur und der
     neuen Kleidung, mein Bruder kannte nur Männer mit kleinen und großen Bäuchen, dieser hier war aber dünn geblieben, er und
     mein Bruder kannten sich, das war mir schon aufgefallen vorgestern. Er störte sich nicht weiter an meiner Begleitung und sagte
     mir, er könnte seinen Daumen noch rühren, unter Schmerzen zwar, aber er könnte, Franz hätte unter großem Druck gestanden,
     und da würde einem Mann wie ihm eben nur das Fingerknicken einfallen, er hätte ihm den Daumen umgebogen, vor seiner geschiedenen
     Frau und ihrem neuen Mann. Der Franz hätte es übler treiben können, nämlich biegen bis die Sehnen barsten, er, Fritz, wäre
     mit dem Gesicht im Teppich gelegen, er sähe jedoch nichts Schändliches darin, natürlich würde er, wie alle Männer, wie alle
     Frauen, denken, daß es die anderen treffen möge und nicht ihn. Diesmal hätte es ihn getroffen und nicht die Menschen, bei
     denen er zu Gast gewesen war, sie hätten geschwiegen wie tote Mäuse. Und wie käme es, daß die beiden Brüder nicht an Weiberknappheit
     litten,er aber vom Glotzen und Dankeschönsagen trockene Augen und trockenen Mund bekäme, mit Dankeschön wär’ eben die Suppe schlecht
     schmalzen.
    Alles, nur das nicht, dachte ich, der Kerl sollte einfach nur woanders betteln gehen, hier mußte ich mir überlegen, wie ich
     die ernste Sache am Leben erhielt, und als ich diesen Fritz ansah, fielen mir drei Worte ein, die für ein Musikstück als Titel
     taugten: Solo am Sonntag. Es werden viele Männer verrückt, weil sie es nicht loswerden können, ich wollte schon diesen Gedanken
     aussprechen, aber Sandra kam mir zuvor, sie fragte ihn, ob es ihm helfen würde, wenn wir alle drei Glühwein tranken, und natürlich
     nickte Fritz, und wenig später saßen wir mit dem Glühweinbecher in der Hand auf der kalten Stufe. Wir tranken und schauten
     geradeaus. Ich pustete ihr zwei lose Wimpern aus dem Gesicht, es geschah manchmal, daß sie wild schlief, und am Morgen sagte
     sie dann: Das Kissen ist mein Friseur. Es werden Männer verrückt und invalide, weil sie verlassen werden von einer Frau, von
     der sie nicht erwarten, daß sie sich um den Haushalt kümmert oder die Zimmerpflanzen wässert, sie werden verrückt. Mitte,
     Prenzlauer Berg, Friedrichshain – in den Straßen dieser Bezirke lief und verlief ich mich, meine letzte Freundin wohnte Danziger/Ecke
     Greifswalderstraße, meine vorletzte Freundin hatte in der Oranienburger Straße gewohnt, bevor sie einen Mann aus der Filmbranche
     geheiratet und in ein besseres Viertel umgezogen war. Was tat ich, was nicht auch andere taten?
    Und sie fragte jetzt den Invaliden: Sein Bruder ist also wieder draußen? Sind sich die Brüder ähnlich? Zwei Fragen auf einmal,
     sagte er, sie haben ihn wieder rausgelassen, ja, und nein, Franz ist ungeraten, und dein artiger Freund sieht mir so

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