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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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vielleicht nicht meine beste Freundin, sie ist es auch nie gewesen, aber ich besuche sie
     ab und zu. Anka also stand einmal auf der Kante des Bürgersteigs, und als die Ampel für Fußgänger auf Grün schaltete, tat
     sie genau einen Schritt und wurde von einem Fahrrad gerammt, der Fahrer hatte Gott sei Dank schon gebremst, Anka kam mit dem
     Schrecken davon. Sie läßt sich keine Gelegenheit entgehen, um zu schimpfen, und das war eine ideale Gelegenheit. Aber sie
     dachte: Diesmal nicht. Diesmal will ich mir den Mann ansehen, er sieht gut aus. Sie können … Sind wir schon zum Du übergegangen?
     Ja, sagte er. Gut, du kannst mir folgen? Jedenfalls hat Anka beschlossen, sich zu einem Wiedergutmachungsessen einladen zu
     lassen. Der Mann – ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen – glaubt erst einmal, er hätte es mit einer Gepuderten aus Charlottenburg
     oder aus Potsdam zu tun, er ist nicht unbedingt abweisend, er ist nur vorsichtig. Was will diese Frau von ihm, und was kann
     er ihr geben? Wäre er ein Fahrradkurier in genitalbetonter Hose gewesen, Anka hätte ihn auf Schmerzensgeld verklagt. Verzeihung,
     das ist ihre Ausdrucksweise, und nicht meine. Aber er arbeitet mal da, mal dort, so hat er sich beim Essen ihr gegenüber ausgedrückt.
     Meine Freundin haßt Geheimnistuerei, sie glaubt, Männer würden sich nur interessant machen oder aber Unterhaltsgeld an die
     Mutter ihres Kindes zahlen und langsam verarmen. Was heißt das, mal da mal dort? Diese Frage stellt sie ihm, und er bleibt
     ihr immer noch eine eindeutige Antwort schuldig. Dann rückt er mit der Wahrheit heraus, und als sie erfährt, daß er in unsaubere
     Geschäfte verstricktist, tupft sie mit der Serviette an ihren Mundwinkeln, steht auf und geht weg …
    Ja, sagte Franz, weil wir also in deiner Wohnung sind, bin ich es wohl, der gehen sollte. Er hatte nicht mit Widerspruch gerechnet,
     also packte er den Schmuck in die Tüte und die Tüte in die Tasche, zog seinen Kamelhaarmantel an und verließ die Wohnung.
     Auf der Straße atmete er tief die kalte Abendluft ein, er war sich sicher, daß Jacinta diese Geschichte von der reinen Jungfrau
     Anka frei erfunden und erzählt hatte, um ihn dezent zum Gehen aufzufordern, sie war eine verlegene Frau, und ihr fehlten manchmal
     die richtigen Worte. Sie hatte aber erst die Schmucksachen ausgewählt und sich wahrscheinlich währenddessen eine Fabel einfallen
     lassen. Er würde jetzt einen Falafelteller bei einem Libanesen bestellen und dazu kaltes Mineralwasser mit Kohlensäure trinken.
     
    Sie stellte sich vor den Badezimmerspiegel, drückte die flachen Hände an ihre Brust und schaute sich an, die Lichtreflexe
     am Gold gefielen ihr, und es gefiel ihr auch, daß sie ihre neuen Geschenke allein bewundern konnte, der fremde Mann hätte
     sie nur abgehalten zu lächeln. Und zu lächeln und zu lächeln. Anka durfte den Schmuck an ihr nicht sehen, denn sie würde davon
     ausgehen, daß sich Jacinta den Herzenswunsch aller Mädchen erfüllt hatte, die Tatsachen des Lebens waren für sie Murmeln,
     entweder hielt man sie in der Hand, oder man rutschte auf ihnen aus. Kein vermögender Mann, dachte Jacinta, aber ein Einbrecher,
     der die Blinden und Taubstummen zum Reden bringt, indem er ihnen einfach den Daumen umbiegt.
    Wenn man stirbt, steht die heraufschwebende Seele – das zerrissene Band hängt ihm vom Nabel herab – nicht dem Todesengel von
     Angesicht zu Angesicht gegenüber. Sie weicht zunächst, so geht der echte Glaube der Menschen, nicht vom Körper, mit dem sie
     bis vor einigen Sekunden untrennbarverbunden war. Und der Engel – er ist mehr Wolke als Luft – betrachtet dies Schauspiel von der Ferne, und er sieht auch denjenigen,
     der diesem Menschen mit einem Schlag auf den Hinterkopf gemordet hat. Der Mörder aber, der vielleicht nur die Absicht hatte,
     die Warnung seines Auftraggebers weiterzugeben, wird in den nächsten Tagen die Zeitung aufschlagen und den Artikel über seine
     Beförderung vom Schläger zum Totschläger lesen, erst ungläubig, dann mit einer gewissen Resignation. Sie wandelt nur jene
     Kriminelle an, die ahnen, daß sie höchstwahrscheinlich Opfer von anderen Gewalttätern werden. Der Engel sieht ihm hinterher,
     er ist nicht allwissend, er ist geschickt worden, um die Seelen einzufangen, daß sie nicht Wolke werden noch Luft. Den Totschläger
     kümmert es wenig, was mit ihm geschieht, wenn er stirbt. Der Mann, der ihn für einen harten Schlag bezahlt hatte, hielt

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