Hinterland
täuschte auch seinen Freund, der
ihm jetzt gegenüberstand, der Kumpan hätte ihm gerne gesagt, daß er im Kamelhaarmantel aussah wie ein in Samt gekleideter
Aff’. Er tat es nicht. Sie hörten die Frauen in der Küche miteinander sprechen, und sie wollten sie nicht mit ihrem Schweigen
beunruhigen. Deshalb setzten sich der Dieb und sein Kumpan hin und gingen grinsend den Schmuck einzeln durch.
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Ich sah sie am Stand für Wickellampen auf dem Flohmarkt am Mauerpark, sie brauchte sich nicht umzudrehen, ihr Haar, ihre Jacke,
ihre Schuhe, ihre Angewohnheit, die linke Hand zur Faust zu ballen, wenn sie mit der rechten Hand einen Gegenstand berührte.
Und dann wandte sie sich von den Angeboten ab und mir zu, wir standen uns gegenüber, und ich schämte mich, weil ich mir vorkam
wie in einer dummen Szene. Was stimmt nicht mit mir, daß sie mich anlügt, dachte ich, und was stimmt nicht mit ihr? Ich war
aufgelegt, weiterzuschlendern und in den Plattenkisten zu wühlen, statt dessen wurde ich von einem Menschenstrom erfaßt und
konnte erst ein paar Meter weiter zur Seite treten, ich fand mich vor einemHändler wieder, der von groben Plastikrahmen eingefaßte Bilder von knienden Frauen verkaufte: Ein Engel schwebte auf halber
Höhe und hielt einer Verhüllten einen Spiegel vor, oben im gleißenden Schein entsprang einer Taube ein Lichtstrahl, der sich
im Spiegel brach und in die linke Brust der Niederknienden geleitet wurde. Der Händler sprach auf mich ein, und als ich mich
umdrehte, sah ich meine Freundin, und wir schlugen uns seitlich zwischen den Ständen durch, bis wir endlich heraustraten,
und weil keiner von uns einen Vorschlag machen wollte, setzten wir uns auf eine Treppenstufe. Sie sagte: Ich war nicht in
Barcelona. Ich habe eine Freundin gebeten, dir eine Postkarte zu schicken. Eigentlich habe ich damit gerechnet, dich hier
zu treffen. Ich wollte es dir schonend beibringen … Das mit uns beiden klappt nur, wenn ich sie ab und zu sehen darf.
Manchmal verliebte sie sich in einen Mann, das kam zwar selten vor, aber es kam vor, und dann mußte ihre Freundin jedesmal
in der ersten Nacht ihrer Abwesenheit gegen den Drang ankämpfen, an ihren Nägeln zu kauen, sie mußte sich zwingen, keine Angst
zu haben, weil sie bislang nach jedem Abenteuer zurückgekehrt war. Meine Freundin Sandra nahm sich selten eine Auszeit von
ihrer großen Liebe Iris, ich hatte keine Lust und nicht die Erlaubnis, ihre gemeinsame Wohnung zu besichtigen, Iris kannte
ich nur vom Hörensagen, und so wußte ich, was sie Sandra im Moment der Liebesenthüllung zurief: Wer sich zu Honig macht, den
benaschen die Fliegen. Die Männer nannte sie die Kaufinteressierten, ich nahm es ihr nicht übel, weil sie auf einem ausziehbaren
Sofabett schlief und schlecht träumte, in all den Nächten, da sie nicht ihre Traumfrau umarmen durfte, da sie wußte, daß sie
sich von einem Mann umarmen ließ.
Ich hatte sie umarmt. Ich hatte ihr von meinem Bruder im Gefängnis erzählt, in der Hoffnung, es würde mich in ihren Augen
verwegener machen. Ein Langzeitstudent der Anglistik,der in einem Kopiergeschäft arbeitete, würde sie doch nicht wirklich beeindrucken können. Und eines Morgens klingelte es
an der Tür, und ich glaubte, es wäre der Werbezettelverteiler, und rührte mich nicht von der Stelle. Dann aber sah ich einen
Schatten hinter der Milchglasscheibe, rief: Wer ist da? und riß die Tür auf. Sie sagte sofort, sie hätte sich in mich verschaut.
Bis zu diesem Morgen hatte ich diese Geschichte für die Märchen der Starken gehalten, die die Schwachen damit quälten. Mir
war doch noch nie eine große Aufwühlung geschenkt worden, mein großer Bruder sprach davon, daß es bei mir nur einer sanften
Brise bedurfte, und die Schindeln auf dem Dach würden davonfliegen.
Viereinhalb Wochen waren seither vergangen, und ich saß jetzt neben ihr auf einer kalten Steinstufe, hinter mir kläfften die
großen und kleinen Hunde auf dem Hundespielplatz, und ich sagte: Du wirst mich für verrückt halten, aber heute ist ein Eichelhäher
durchs offene Fenster reingeflogen, und ich habe mit offenem Mund dagesessen. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Sie sagte:
Was tut man denn, wenn ein Vogel reinfliegt? Ich sagte: Na, vielleicht überlegt man sich schnell, daß es das Beste wäre, sofort
alle Fenster aufzumachen. Damit er rausfliegen kann. Und dann muß man es in die Tat umsetzen. Aber er war ja
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