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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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dürfte es nicht den Stückeschreiber und
     den Regisseur voneinander getrennt geben, ich erkläre also den Schreiber für überflüssig, ich erkläre den Originaltext für
     überflüssig, und ihr folgt einfach meinen Anweisungen und beschwert euch nicht, daß ihr in den falschen Kleidern steckt …
     Er hatte jede Rolle gegen das Geschlecht besetzt, die Männer wurden von Frauen gespielt, und die Männer schlüpften in Nylonstrümpfe
     und Röcke und Bolerojäckchen, und sie lernten den besonderen Hüftschwung, sie lernten zu sprechen, als wären sie im Stimmbruch,
     und der Regisseur saß im dunklen Saal und lauerte auf einen kleinen Fehler. Dann öffnete er für sie, die sie auf der Bühne
     Gelenkigkeit übten, die Tore der Hölle, mit diesen Worten kündigte er seinen Wutanfall an – sie mußten sich ihm zuwenden und
     seiner gebrüllten Rede über die Ungeschickten und Verträumten lauschen.
    Er aber war ein Laie, ein Mann im Dienstmädchenkostüm, der Rock bedeckte kaum seine Kniescheiben, der unflätige Regisseur
     hatte ihm aufgegeben, die Lächerlichkeit niederzuspielen, den lächerlich kurzen Rock zu übersehen, das Quietschen der Turnschuhe
     zu überhören. Nur manchmal wurde er beschimpft, der Junge nannte ihn dann einfach nur den Sarg, er schrie: Der Sarg ist morsch,
     der Sarg soll den Toten in sich ausspucken! Er war so etwas wie ein Statist, natürlich, der Regisseur konnte ihn ohne Mühe
     ersetzen durch einen anderen älteren Mann, der davon träumte, seine geschiedene Frau und seine erwachsenen Kinder zur Premiere
     einzuladen.
    Langsam werde ich einer Kammerzofe immer ähnlicher, dachte er noch, er ging aus dem Haus, und wie immer schaute er auf das
     Unkraut in den Asphaltrissen, und wie immer zwang er sich, nicht über den Anblick von unauffälligem Verfall die Orientierung
     zu verlieren. Der Wind rüttelte an den Schutzzäunen, trotz der Kälte und des Dunkels machte er sichzu Fuß auf den Weg, die wenigen Menschen, die er unterwegs traf, grüßten ihn mit einem Nicken: Es hatte sich herumgesprochen,
     und wer sich mit ihm gutstellte, bekam vielleicht einen guten Platz in der fünften Reihe oder kam sogar umsonst hinein. Eine
     kleine Berühmtheit.
     
    Der Komponist machte ihm die Tür auf, und wie immer glänzte seine faltenlose Stirn, und wie immer ließ er ihn wortlos hinein,
     er mochte es nicht, wenn sich junge und alte Männer an sein hübsches Kind herandrängten, er wünschte, daß die Bewerber um
     die Liebe seiner achtzehnjährigen Tochter im Wassergraben ersoffen: Dieses Haus, in dem der Komponist und sein hübsches Kind
     lebten, war eine Burg, so dachte der Vater, und er freute sich über die Stille, die betäubte und abwehrte, die die Bekannten
     und Berühmten auf Abstand hielt.
    Er ließ ihn also hinein, peinlich darum bedacht, keinen Handschlag zu provozieren, und als der Mann gegen den Garderobenhaken
     stieß, blieb er stumm, sagte ihm aber, er sollte bitte die Schuhe ausziehen. Auf Strümpfen ging er die Wendeltreppe hoch,
     und als er vor der Tür der Dachkammer stand, zeigte sich ihm folgendes Bild: Ein Fremder saß mit ausgestrecktem rechten Gipsbein
     auf dem Stuhl, hinter ihm stand Aneschka und schnitt seine nassen Haare, der Krückstock war an einen Hocker in Griffnähe angelehnt.
    Seltsam, daß der Fremde bei seinem Anblick mit dem freien heilen Fuß scharrte, erst dann schaute das hübsche Kind auf. Das
     ist mein ehemaliger Klassenlehrer, sagte sie, und das ist mein Freund Ferda. Und sie erzählte von dem platten Hinterkopf und
     den Geheimratsecken des Fremden, deshalb würde sie vorne tarnen und täuschen und hinten bürsten und aufbauschen, und damit
     ihr Freund nicht vormodern aussähe, versuchte sie sich an einem Fransenschnitt, sie wäre noch nicht davon überzeugt, ihm die
     Ohren freizuschneiden. DerFremde hört auf den Kosenamen Ameise, dachte er, und bis auf Danke und Auf Wiedersehen kann er bestimmt kein Wort Tschechisch
     sprechen, das entbindet mich von der Pflicht, mit ihm eine Konversation zu führen. Bald hatte er von Aneschka erfahren, daß
     der Gast aus Deutschland ihretwegen Liebesreisen nach Prag unternahm, einer Stadt, die er bis dahin nur in Zusammenhang mit
     einer Jahreszeit, dem Frühling, zu bringen vermochte. (Der Verliebte unterschlug sein Wissen, er wollte der angebeteten Frau
     ein schönes Kompliment machen, und natürlich hatte er alles Recht der Welt, ein harmloses Lügenmärchen zu erzählen. Wir waren
     doch alle weit

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