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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Geld ein und sagte: Mein Bruder wird dich sicher noch einmal aufsuchen. Bitte keine Auskünfte.
     Er versprach es ihm, und dann war er schon weg. Also die Beute. Schön. Und die Augen von Franz – was hatte er in ihnen gelesen?
     Verdammt noch mal, gar nichts, es sollten andere Gaukler vorgeben, zu zaubern oder ins Innerste der Menschen sehen zu können.
     Im Inneren der Männer und der Frauen war nur eine kleine Grotte, in der es loderte wie in der Hölle. Der Händler entrollteseine Bodenmatratze und legte sich hin, er war müde, er hatte nicht die geringste Lust auf die beiden Idioten, die draußen
     auf ihn lauerten, um ihm eins über den Schädel zu ziehen und ein bißchen Geld zu erbeuten. Morgen würde er Fritz, den rachsüchtigen
     alten Trottel, ausfindig machen und ihn auffordern, keine Amateure mehr loszuschicken. Sonst … sonst würde er sich einen Blindenhund
     zulegen.

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    schwarzbrot
    Wie ein zorniger Regisseur junge Talente und einen alten Amateur zum großen Schauspiel anleitet; wie die verzweifelte Vilma vom Nichts verschluckt wird und die Pragerin ihrer Berliner Brieffreundin vom wunderlichen Tun ihres Schuhmachers schreibt
     
    Eine Liebe, Trennung, eine Liebe, Trennung, das Jahr war vergangen, und im ersten Monat des neuen Jahres hatte er beschlossen,
     den Schmerz mit den Mitteln der Aufstandsbekämpfung anzugehen: roh und herzlos. Nichts als Worte. Nichts als Worte brachte
     es ihm ein, daß er schwieg – keiner seiner Freunde ging freiwillig zu einer Totenfeier, und sie besuchten ihn, sie brachten
     ihm ein Glas Konfitüre oder eine Tafel Schokolade, und nach einer halben Stunde fühlten sie sich unbehaglich, sie wünschten
     ihm eine gute Nacht und verließen ihn dann hastig.
    Er hatte früher auf einer roten Liste gestanden, heute mied man ihn nicht mehr, das war ihm also gelungen. Der Schweiß in
     seinen Achseln war nicht vergeudet – ein Gedanke, der ihm immer dann kam, wenn ein Gefühl verflog. Er hatte die Vorhänge naß
     aufgehängt. Gut. Die Nachbarin hatte geklingelt und ihn gebeten, die Schrauben fester zu drehen, er sorgte in wenigen Minuten
     dafür, daß die Stützräder am Hinterreifen nicht mehr wackelten. Ihr Kind war glücklich und rollte sein Fahrrad in sein Zimmer.
     Und weil ihm noch etwas Zeit blieb, seifte er seinen Oberkörper ein, wusch ihn am Waschbecken,und weil er zu lange den Blick nicht von den Haarrissen im Porzellan abwenden konnte, fröstelte es ihn, er rieb sich ab,
     bis er seine Haltung wieder gewann, erst dann konnte er seine Wimpern tuschen. Er blinzelte, stellte fest, daß die Tusche
     an den Wimpernspitzen nicht verbrockte, er band sich in der Küche eine Schürze um, hob das Tablett in die richtige und schickliche
     Höhe und entspannte seine Finger, damit die weißen Knöchel seine Anspannung nicht verrieten. Das Teegedeck für die Dame, das
     stille Wasser für den Herrn.
    Im Wohnzimmer schaute er schnell auf den Tischaufsatz, die Schalen waren mit Rachenpastillen bestückt, die Vulgarität stach
     ihm ins Auge: Das nächste Mal würde es richtige Süßigkeiten geben. Es reichten einige wenige Handgriffe, und die Herrschaften
     waren zufrieden, er trat, ohne den leeren Stühlen den Rücken zuzukehren, fünf Schritte zurück, in seiner ihm zugedachten Rolle
     war er glücklich, und er ging ab. Vielmehr eilte er wieder ins Bad und reinigte seine Wimpern vom Lackschwarz. Fast wäre er
     in seine Jacke geschlüpft, ohne die Schürze abzulegen, und weil ihn dieser fast begangene Fehler mißtrauisch stimmte, betrachtete
     er sein Gesicht im Flurspiegel: Ein Männermund, eine Männernase, kurzes Männerhaar. Man würde es ihm sofort ansehen, doch
     an einem Winterabend waren die Menschen froh, im Warmen zu sitzen, sie würden ihm den Mann ansehen und sich aber an seiner
     Rolle des dienstbaren Geistes ergötzen. Servieren war eine Kunst, das Auftragebrett durch den Raum zu tragen war eine Kunst,
     er mußte das besondere Lächeln eines Dienstmädchens üben, das sich jedes Geschmacksurteil verbietet: über die Stimmungswechsel
     der Frau des Hauses, über den Herrn, der beim Rauchen in die Zigarettenspitze beißt.
    Und bevor er in die Rolle schlüpfte, während der halbstündigen Besprechung, in der es ihm gestattet war, nur ein Laie von
     fast sechzig Jahren zu sein, hörte er aufmerksam zu. Und widersprach nicht. Der junge Regisseur holte sich bei ihnenkeinen Rat, er jagte die Überlieferung zum Teufel, er sagte: Nach der Überlieferung

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