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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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mußte sich ans Herz fassen und bekennen; vielleicht,
     dachte Aneschka, ist mein deutscher Liebhaber ein bißchen wunderlich, er ist das Gegenteil von einem Bürokraten, nämlich ein
     träumender Schuhmacher, ein machender Traumschuster, und die Begeisterung brennt ihm kleine Krater in die Haut und löst ihm
     die Zunge, alles brennt an ihm, daher paßt er nicht auf, wo er hintritt, und stolpert über hohe Bordsteinkanten.
    Vaclav verabschiedete sich, für das nächste Spiel würden sie sich am Telefon verabreden, und da er nicht annahm, die Ameise
     wiederzusehen, wünschte er ihm altmodisch alles Gute für die Zukunft, er wartete die Übersetzung nicht ab, schlüpfte unten
     im Eingang in seine Schuhe und lauschte dem Klavierstück, das der Komponist im Studio spielte.
    Mitten in der Nacht, auf dem Weg nach Hause, beugte ersich hinunter und schüttelte am Hosensaum, der sich nach innen umgelegt hatte, und dabei sprang ein weißer Spielstein heraus
     und kullerte davon, er sah aus wie der Ehering eines Gespensts, nur für einen Augenblick. Will er mich kaltstellen? dachte
     er, will der junge Regisseur etwa die alten Amateure loswerden? Ich bin ja nichts weiter als eine Assistenzfigur, ich bohre
     mir aber auf der Bühne nicht in der Nase und gebe auch nicht einer Laune nach. Das Stück, das er inszeniert, hat keinen Wert,
     der Gast wird es sich ansehen, und wenn das Licht verlöscht, wird er klatschen, weil das von ihm erwartet wird. Ein Theaterabend
     mit Männern und Frauen, die Frauen und Männer spielten, und die Regie hatte es gefügt, daß alle ihren Eifer einbüßten und
     nach und nach umkamen, durch fremde oder eigene Hand. Er, der alte Laie, sollte in der uneinsehbaren Abseite beim Sterben
     schreien, so lange, bis der eine oder andere Gast im Publikum veranlaßt wurde, dagegen anzuschreien, und den Mißklang der
     Schreie würde der Regisseur als einen Triumph feiern, das hatte er verkündet.
    Vaclav schaute hoch, der Nachthimmel beunruhigte ihn nicht.

[ Menü ]
     
    Der Lügner – ich kannte ihn, er war ein betäubender Mann, und sooft ich auch mir wünschte, er möge sich auflösen oder im Feuergefecht
     mit Kleinkriminellen sterben, er blieb am Leben und belog mich und die anderen, die er um sich versammelte. Die in seiner
     Nähe sein wollten: Weil es ihnen gefiel, auf der falschen Seite zu stehen. Der Lügner – so nannte ich ihn, obwohl er eine
     Frau war, in meinem Stück, auf der Bühne, schlüpfte sie in Männerkleider, und auch in meinen Tag- und Nachtträumen sah ich
     sie als Mann. Ich mußte nur einmal blinzeln, und es war, als schüttelte ich an einerSchneekugel, und wenn sich die Kunstflocken herablegten auf den Grund meines Traums, stand sie als Umriß vor heller Landschaft,
     und ich erkannte sie als einen Mann, der mich immer ins Auge faßte. War ich besessen, bloß weil sie, weil der Lügner es nicht
     zuließ, daß ich von ihm fortkam? Besessenheit traf auf ihn zu, sie war besessen normal … ich sollte mich an dieser Stelle
     für ein Geschlecht entscheiden, und also ein Mann.
    Er brach mitten im Satz ab und sagte: Es liegt mir auf der Seele, und wenn man ihn fragte, was es denn wäre, wandte er sich
     achselzuckend ab, er mit den langen Haaren, er mit der Narbe aus der Kindheit am Lippenrand, der Mann also wußte, daß sich
     selten die Gelegenheit bot, nicht einfältige Menschen zu Narren zu machen. Sie alle, wir alle hielten Weingläser in der Hand,
     wir waren beeindruckt von den Büchern im Regal, dabei hatte er sie doch von ihrem Onkel geerbt, dem Dissidenten, der auch
     in der neuen Zeit die Abweichung zur Regel erhob und dem Lügner seine ganze Bibliothek zu Lebzeiten vermachte. Weshalb? In
     einer der vielen Krisen seines Lebens hatte der Onkel einfach beschlossen, seinen Besitzstand um drei Viertel zu mindern,
     und seine Lieblingsnichte … na gut, sie war, was sie war, und die Verkehrung machte mich verrückt, also sie … sie nahm das
     Geschenk an, verbat sich aber jede Bedingung. Sie würde ihn deshalb nicht öfter besuchen kommen.
    Wir alle, mit den Weingläsern in der Hand, glotzten auf die bunten Buchrücken, wir fühlten uns wohl in ihrer großen Wohnung,
     und auch wenn sie in der Hierarchie des Theaterhauses zum mittleren Segment gehörte, wir alle, von den Regisseuren bis zu
     den Technikern, fühlten uns geschmeichelt, daß sie uns Einlaß gewährt hatte. Es lag ihr etwas auf der Seele. Und es gab manch
     einen Unbeirrbaren, der sich dazu hinreißen

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