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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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uns in das Dorf Kunratice fahren ließen; im Restaurant
     ›Zum Ohrlosen‹ wartete der Komponist auf uns, und wie der Zufall es wollte, wurde die Schüssel Tartar serviert, kaum daß wir
     uns gesetzt hatten. Wir gingen schweigend mit der Knoblauchzehe über die gerösteten halben Brotscheiben und bestrichen sie
     dick mit dem rohen Hackfleisch, wir bissen hinein, und erst nach einigen Bissen und vielen Schlucken Wasser sagte Aneschkas
     Vater: Ihr seid wieder versöhnt, das freut mich, an diesem Abend möchte ich ungern in den Streit anderer Menschen geraten.
     Diese bessere Kneipe gehört einem Koch, der viel Geld macht, und aber nicht ohrlos ist, die Piraten haben ihn bei der Namensgebung
     inspiriert. Das Geld, das er hier verdient, gibt er lieber auf einer karibischen Insel aus. Dir, Ferda, sind bestimmt die
     Fotos an den Wänden aufgefallen, der Mann mit den beiden Ohren ist der Koch, zu beiden Seiten stehen dicke Schönheiten, bei
     denen es sich nicht um seine Frauen handelt. Der Koch hat mir persönlich erzählt, daß man diese Frauen auf fast allen Fotos
     der Touristen findet, denn sie hoffen auf diese Weise, von einem Mäzen entdeckt zu werden. Du wirst bemerken, daß sie nicht
     posieren können, das ist eine schöne Eigenheit der Eingeborenen, sie stellen sich einfach hin und grinsen oder zeigen das
     Siegeszeichen. Ich frage mich immer, ob sie es wissen können, daß sie über den weißen Mann gesiegt haben. Undüberhaupt wollte ich dich fragen, wieso du deine Vorliebe für Schwarzbrot als deine Eigenheit ausgibst.
    Ich machte einen halbherzigen Versuch, mich zu erklären, doch wir wußten alle drei, daß es nicht darauf ankam, in den Worten
     eines Fußumrißzeichners auf einen Vernunftkern zu stoßen. Der Komponist war abgelenkt, weil am Nebentisch ein bekannter Fernsehmoderator
     saß, schließlich hörte ich auf zu sprechen, und weil ich geräuschvoll an der verbrannten Brotkante kaute, fiel mir wieder
     ein, was Aneschka mir über die Stille gesagt hatte. Die gerade Stille war eine Erfindung des gehobenen Bürgertums: Es verband
     den Lärm der Arbeiter mit der Unsitte, zu jeder Tageszeit und bei jeder Beschäftigung nicht still sein zu wollen, deshalb
     durfte bei Tisch nicht gesprochen werden, auch wenn der Sohn und die Tochter und die Frau des Hausherrn keine Freude dabei
     empfanden, ihn beim Suppenschlürfen zu erleben.
    Immer dann, wenn ein Lastwagen über die Hauptstraße des Dorfes donnerte, klirrten die leeren Ginflaschen auf dem Regalbrett
     in der Küche, und das, so Aneschka, war Beunruhigung, war die ungerade Stille, sie und ihr Vater waren für eine kurze Zeit
     beunruhigt und glaubten, daß sich mit dem Klirren ein ungebetener Besuch ankündigte. In der ungeraden Stille kläffte plötzlich
     ein Hund, unter dem Stuhl, auf dem man saß, es fiel ein Füllfederhalter auf den Boden, es zersprang ein Eiswürfel im hohen
     Glas, das mit Orangensaft gefüllt war. Beim Beineübereinanderschlagen stieß man sich einen Fußknöchel an einer Möbelkante.
     Oder aber man beschaute einen schönen Wasserkrug und las folgende Zeilen auf dem Etikett: Handarbeit! Eventuelles Kleckern
     ist daher kein Reklamationsgrund!! Das war Aneschka passiert, die beiden Ausrufezeichen hatten sie verblüfft, und da war ein
     Angestellter des Keramikgeschäfts wie aus dem Nichts an ihrer Seite erschienen, um ihre Aufmerksamkeit auf die Gläser im Angebot
     zu lenken. Er hatte gesagt: Ein benutztes Glas istimmer besser als ein unbenutztes. Ein Glas im Schrank riecht immer nach Schrank. Eine Bluse im Schrank riecht nach Kleiderschrank.
     An einem blitzblank sauberen Glas riechen Sie immer die Spülmaschine. Es konnte also geschehen, daß man gerade noch einen
     Krug ansah, und im nächsten Moment wurde man herausgerissen aus der Betrachtung, der Körper schnellte vor, die Seele kam mit
     einem schnellen Schritt hinterher, und die Zeit zwischen vorher und nachher, die Zeit, die so lange dauerte wie ein Bruchteil
     Wimpernschlag, hieß in Aneschkas Worten der Plink-Plink-Augenblick.
     
    Später ging sie, die mich verwirrte, auf der Bürgersteigkante, ich lief neben ihr her auf dem Kopfsteinpflaster, und als der
     Regen stärker wurde, zog ich mir die Kapuze meines Mantels über den Kopf, sie rutschte mir ins Gesicht über die Augen, und
     ich war damit beschäftigt, sie immer wieder hochzuschieben. Sie, über die ich mich lächelnd wunderte, dachte über die Windhosen
     nach, die manche Frauen und Männer im

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