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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Regisseur manchmal nannten, würde sie verbrauchen für seine Provokation, und der Kritiker würde
     in seinem Grimm nicht nachlassen, aber das alles ging Tomás nichts an. In den Morgenstunden schlich er sich davon und brach
     die Hintertür des Theaters ohne Mühe auf, er hatte Vilma eine Flasche Grappa entwendet und trank vor leeren Rängen Schluck
     um Schluck, bis es ihn anödete und er im Laufschritt zur Toilette eilte. Im Rausch knotete er sich das Toilettenpapierende
     um die Gürtelschlaufe hinten an seiner Hose, seine Hände zitterten nicht, und erstarrte neugierig auf das, was er tat. Langsam, behutsam leise ging er wieder zurück, es durfte nicht sein, daß das Papier
     riß, und er stieg auf die Bühne, schob drei Verstärkerkisten nebeneinander, schlief auf der harten Unterlage ein. Knapp zwei
     Stunden später folgte die Putzfrau der Papierbahn, wegen der Ödeme in ihren Beinen war sie zu heftigen Bewegungen nicht imstande,
     und trotzdem mußte sie sich ob des Anblicks des schlafenden Jungen schnell auf einen gepolsterten Klappsitz im fünften Rang
     fallen lassen. Daß die Künstler, Maler, Schreiber, Mimen tranken wie verrückt – das wußte sie. Daß sie alle wegen der Alkoholkultur
     dunkle Ringe unter den Augen hatten und morgens nur unter Aufbietung ihrer letzten Kraft aus dem Bett kamen – das wußte sie.
     Diesem jungen Schauspieler aber verzieh sie alles: Er schlief wie ein Mädchen, er schlief wie das Mädchen, das er in dem neuen
     Stück spielte. Und die junge Frau, die einen Mann zu spielen gezwungen war, stand jetzt neben ihr, sie hatte sie nicht gehört,
     so sehr war die Putzfrau versunken in ihre schönen Gedanken.
    Vilma sagte: Du wünschst dir, zwanzig Jahre jünger zu sein, stimmt das? Es stimmt bestimmt. Meine Heizung knackt frühmorgens
     am lautesten, deshalb bin ich davon wach geworden und habe ihn heimlich beim Anziehen beobachtet, und jetzt beobachtest du
     ihn beim Schlafen. Ich glaube nicht, daß es verkehrt ist. Vielleicht wird er erst dadurch schön, daß er sich von uns allen
     betrachten läßt. Die Putzfrau wollte aber ganz sicher nicht über Vilmas Worte nachdenken, sie hatte ihr eine heimliche Affäre
     enthüllt, sie hatte sie ins Vertrauen gezogen, doch alle in diesem Theaterhaus sahen in ihr eine kummervolle Arbeiterin, deren
     Mann durch sein kummerfaltenreiches Gesicht zu den Ausgezeichneten gehörte. Die Künstler und die Techniker und die Putzfrau
     und ihr Mann waren, wie man ihr immer wieder versicherte, eine kleine Gemeinschaft.
    Trotzdem trank sie keinen Schnaps, jedenfalls nicht jedenAbend, denn sie und ihr Mann hielten sich abends und nachts im Theatercafé auf, manchmal überkam sie die Lust, eine Vorstellung
     zu besuchen. Sie mußte ihren Mann nicht zu Kultur zwingen. Sollte sie also der Schauspielerin enthüllen, daß der schlafende
     Tomás der Sohn eines gekauften Abgeordneten war, einen Irrtum schloß sie aus, sollte sie ihn deshalb halb rempelnd halb kneifend
     wecken? Sie lebte immer noch in der Zeit der Knappheit, sie fand es albern, Toilettenpapier zu verschwenden. Vilma nahm auf
     dem Klappsitz rechts neben ihr Platz und strich züchtig über ihren dunkelblauen Rock, ihrer beider Schultern berührten sich
     leicht, sie schauten ihm zu, wie er schlief, und sie ließen ihn schlafen, sie ließen ihn in Frieden: Er hatte eine schöne
     Art, auf Verstärkerkisten zu schlafen.
    Nach seinem Tod, bald, würden sie lange nachdenken müssen, wohin das, was von ihm übrigblieb, eingegangen war, denn auf der
     anderen Seite dieses Lebens gab es einen schlechten und einen guten Platz. Die Putzfrau las manchmal in einem heiligen Buch,
     darin wurde jeder Selbstmörder in dunkle Schlünde gestoßen. Vilma wünschte ihrem zeitweiligen Geliebten nur die gute Genesung.
     Ein einziges Mal sprachen die beiden Frauen darüber, auf der Damentoilette, in die sie geflohen waren, um Ruhe zu haben vor
     den Neugierigen, und die Putzfrau sagte, es täte ihr leid und es wäre überhaupt nicht rechtschaffen, dem Herrn Tomás einen
     Teufel an den Hals zu wünschen, schließlich hätte er vor ihren Augen so wunderbar friedlich geschlafen. Und Vilma sagte: Ich
     denke an ihn so oft wie an meine tote Katze, die ich vor vier Jahren einschläfern ließ, in meinen Träumen hat Tomás einen
     Katzenkopf … ist das nicht dumm?

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    All die schönen Verluste. All das, woran ich dachte, wenn sich das Licht an einem Kieselstein brach, wenn ich einen Schimmer
     oder

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