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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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anderes Vorkommnis zu bereden, also sprach Herr Altan von dem Band mit den
     schwarzen Metalldornen, die die für die Straßenpflege zuständige Behörde ausgerechnet auf dem Gassenabschnitt vor seinem Laden
     angebracht hatte; die Dornen fuhren automatisch aus, wenn sich ein Wagen aus der verbotenen Richtung näherte, und wie viele
     Geisterfahrerschon waren wutentbrannt ausgestiegen, weil sie wegen der zerfetzten Vorderreifen nothalten mußten, und er hatte sie besänftigen
     wollen und war leider als ›Komplize der Wegelagerer‹ beschimpft worden. Herr Göktürk verkaufte in seinem Geschäft am Turmschatten
     Derwischporträts in Aquarell und dicke Wollsocken, die die zugezogenen Bäuerinnen von den Hängen am Stadtrand strickten, er
     verdiente nicht schlecht und nicht sehr gut. Er machte zwar diesem Alten keine Konkurrenz, er wußte aber, daß der Mann mit
     dem Hinweis auf ›das Vorkommnis‹ ihn wegen seiner Weigerung schalt, aus seinem Laden hinauszutreten und ihm zu Hilfe zu eilen.
     Was konnte er schon anrichten? Wer die Warnschilder mißachtet und durch immer engere Gassen fährt, in dem Glauben, eine Abkürzung
     zu nehmen, wird von den aufklappenden Stacheln angehalten. Die Händler saßen auf ihren Korbschemeln, sie waren beeindruckt
     von Timurs stiller Geste, er hatte sich unbemerkt davongemacht, nicht ohne einen Geldschein auf den Tisch gelegt zu haben.
     Und als aber der Gebetsruf erklang, erhoben sie sich von den Sitzen.

[ Menü ]
     
    Auf seinem Kontrollgang durch das Foyer des Hotels entdeckte der Sicherheitsbeamte das Maskottchen, es respektierte die Absprache,
     es hielt sich nicht in jenem Bereich auf, der für die Hotelgäste bestimmt war: Rüschtü Bej hatte es schon immer vorgezogen,
     jeden Wirbel um seine Person zu vermeiden. Deshalb wurde ihm auch ein Aschenbecher hingelegt, und er verstand es als Aufforderung,
     eine Zigarette zu rauchen, er tat es in aller Ruhe, und wenn die Aschesäule Fingernagelgröße erreichte, streifte er sie sachte
     ab, er wollte sich die Asche vom Jackett nicht klopfen müssen. Da er darum gebeten worden war, die Fremden in Frieden zu lassen,
     vor allem die japanischen und amerikanischen Damen,und überhaupt Frauen jeden Alters, sie durften nicht mit den falschen Eindrücken in ihre Heimat zurückkehren … da ihm jede
     Art der Belästigung peinlich war, ging sein Blick hinaus auf die große Terrasse, und er sah kurz zur alten Brücke hin und
     wandte aber den Blick wieder ab. An einem Abend wie diesem freute er sich, daß sein Krawattenknoten nicht auf die Kehle drückte,
     und daß die junge Rezeptionistin keine Anstalten machte, ihm mit empörenden Handzeichen zuzusetzen. Der Concierge – ein in
     seiner Freizeit Kaugummi kauender Mann – flüsterte ihr jetzt etwas ins Ohr, und sie starrten leicht belustigt zu ihm herüber,
     er hatte einen Sonderstatus, es war ihm gestattet, in der Lobby zu sitzen und jedem Fremden, der ihn darum bat, Gossenanekdoten
     in fehlerhaftem Englisch zu erzählen, denn nur die Illusion zählte, die Illusion von einer Stadt, die man glaubte zu verstehen,
     wenn ein glattrasierter Herr über sein Leben als junger Tölpel sprach, wenn er zurückkehrte in die Zeit vor zweieinhalb Jahrzehnten:
     Unsere Väter, sie sagten: Hier habe ich den Samen gesät, hier soll der Baum stehen. So waren sie, sie hofften auf den Schatten,
     den der Baum spendet, sie bewegten sich nicht von der Stelle weg. Es ist alles anders gekommen, als sie es uns beibrachten,
     wir hatten die falschen Lehrer. Und so sind die meisten auf ihre Art verrückt geworden. Wir sind halsstarrig, wir haben uns
     vielleicht zwei Schritte vom Boden unserer Väter wegbewegt, und wir können also nicht mehr im Schatten des Baumes liegen …
     Die Fremden verstanden ihn nur zu gut, sie schüttelten ihm zum Abschied immer die Hand, in ihren Augen war er genauso eine
     kuriose Figur wie der Schuhputzer im Durchgang zum Frühstückssaal oder die junge spöttische Frau an der Rezeption, die man
     allein wegen ihrer grünen Augen und ihrer pechschwarzen Haare eingestellt hatte. Allerdings durfte er unter keinen Umständen
     Geld annehmen, sein Lohn war der Aufenthalt im Foyer eines Luxushotels, vier Tässchen Mokka am Tag und zwei Gläser Leitungswasser.
     Da er nie diehungeräugigen Kellner herabwürdigte, behandelten sie ihn wie ihresgleichen, sie waren keine Barzahler und kauften Möbel und
     Elektrogeräte auf Kredit, der Werbespruch ›Sympathie in Raten‹ verfing bei

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