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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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aufhob und dem Mann im Anzug reichte, verstrich dieser Augenblick
     der Unruhe, er erkannte seinen Neffen wieder und sagte: Du hast dir die langen Haare geschnitten, und du trägst einen gelben
     Pullover. Zum ersten Mal in meinem Leben, sagte der Schuhmacher, ich komme mir vor, als hätte ich mich verkleidet … Sind das
     deine Genossen? Sie sind mir vor allem sympathisch, sagte sein Neffe und bestätigte ihn in dem Verdacht, daß er sich nicht
     wirklich verändert hatte, er war eine Umleertonne für Ideen, und er machte sich immer eine Vorstellung von der Welt, obwohl
     ihn niemand drängte. Was ist zivilisiertes Verhalten? hatte er ihn vor Jahren gefragt, jetzt erinnerte er sich an seine komische
     Antwort: Wenn man die Buletten, die man gegessen hat, nicht mehr an den Fingern abzählt, gilt man als zivilisiert. Ist es
     das versteckte oder das verratene Wohlbehagen – darüber streiten sich die Gelehrten … Und er lud ihn ein, viel zu spät entdeckte
     er die Zweifachstecker in seiner Hand, das weiße Stromkabel führte zum Hals eines Hundes, der ihn seelenruhig anstarrte, nein,
     er schaute ihn neugierig an. Beißt er die Hand, die ihn streichelt? sagte er, und ohne die Antwort abzuwarten, kraulte erihm … kraulte er ihr den Kopf. Wenig später saßen sie auf dem Balkon der Konditorei, Bener Bej hatte den protestierenden
     Hauptkellner einfach bestochen, und Belinda durfte sogar vom Teller zwischen den Stuhlbeinen unter ihrem Tisch gefüllte Krapfen
     in süßem Sirup fressen. Er fütterte eine unbekannte Hündin, und er sprach mit einem fast unbekannten Neffen. Worüber? Über
     die Muttermörderin. Bener Bej hatte eine Entschuldigungsrede erwartet, wie sie gerne die Auswärtigen hielten, sie wollten,
     auch und vor allem im Urlaub, nicht davon lassen, die Einheimischen zu beschämen; doch seinem Neffen taten die toten Mütter
     in ihren Gräbern leid, er verlor kein Wort über die meuchelnden Töchter, er wollte ihn schon fragen, ob Geisterhände das Messer
     geführt hatten und ob die Entrüstung junger Männer über die Untaten junger Frauen nicht mißverstanden werden könnte. Da legte
     die Hündin ihren Kopf auf seinen Oberschenkel und schloß die Augen. Er verstand: Kein Streit. Bevor sich die Radikalen in
     Bewegung setzten, hatten sie der Polizei insgesamt vier Megaphone aushändigen müssen; diesmal gab es keinen Anlaß, sie einzukesseln,
     diesmal schritten die Polizisten nebenher … Bener Bej hörte nicht mehr richtig hin, er wartete eine Kunstpause seines Neffen
     ab und zeigte auf das Buch, das ist das Gebetbuch deiner Großmutter, von dem ich dir gesprochen habe, ich werde das Sippentreffen
     nicht erst abwarten, sagte er, nimm es und halte es in Ehren, bei dieser Gelegenheit möchte ich dir verraten, wieso ich den
     Kontakt zu dir abgebrochen habe: Es gibt keinen Grund, es hat sich eben ergeben. (Jede kleine Lüge, die man um des lieben
     Friedens willen erzählt, ist natürlich gerechtfertigt. Bener Bej glaubte seiner Frau sofort, als sie von dem häßlichen Vorfall
     in der Küche erzählte. Die Männer seiner großen Familie faßten sich zu oft ans Herz und machten sich damit in seinen Augen
     verdächtig. Also warf er in seinem Zorn nicht Teller an die Wand oder biß sich in die Faust. Nein. Er entschied, daß erfür den Rest seines Lebens gut ohne diese Hinterntätschler auskommen konnte.) Belinda begann, an dem Stromkabel zu kauen.

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    Der Schwanenvater machte kein Geheimnis daraus, daß er für einige Jahre hatte ins Zuchthaus wechseln müssen, seine Schuld
     war erwiesen gewesen, und er lebte unter lauter Unschuldigen in seiner Zelle wie in allen Trakten, und auf Nachfrage zerstreute
     er jeden Verdacht und sagte: Ich habe versucht, einen Mann aufzuschlitzen, er hat sich gewehrt und mir die Nase und zwei Rippen
     und noch einen kleinen Knochen zertrümmert, deshalb hat man mich nicht wegen kaltblütiger Mordpläne drangekriegt. Er verriet
     dies Geheimnis, nein falsch, er sprach zu den neugierigen Leuten von der kurzen Unterbrechung ohne große Folgen für einen
     Junggesellen wie ihn, und diese Leute taten so, als hätte er Vertrauen zu ihnen gefaßt, sie nannten ihn hinter seinem Rücken
     ›den negativen Hasan Bekir‹. Er war nicht daran gewöhnt, mit Vor- und Zunamen angeredet zu werden, doch es hatte sich nun
     einmal eingebürgert, und was sollte er sie darauf hinweisen, daß er den Schwänen auch keine Familiennamen gab, Schwan eins
     bis Schwan neun schwammen

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