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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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ein grober Kerl mit einem Spieß in der Hand bildeten einen Ring um sie, und da
     sagte der Kerl: Das ist der Putzstock meines Großvaters, es heißt, er hat damitseine Bockbüchsflinte gereinigt, das kann nicht stimmen. Weder war er ein Jäger, noch hat er eine Flinte vererbt. Ich halte
     damit den Tieren die Quäler vom Leib. Also, alles wieder aufsammeln!
    Und sie traten ohne eine weitere Aufforderung in den Teichrand, ihre Turnschuhe wurden naß, sie machten ihre Rücken krumm
     und fischten die durchgeweichten Pappstücke heraus, ein Wächter hielt ihnen eine Papiertüte hin, Hasan Bekir sprach einen
     Platzverweis aus: Viele vor sich hin singende Männer hatte er bisher vertrieben, Verrückte jedes Kalibers, dumme Leute, deren
     falsches Lachen sie verriet, und wer einen Vogel um sein Futter betrog, konnte es im Leben nicht weit bringen. Er begann seinen
     Rundgang und blieb an dem übernächsten Steinquader stehen, dort saß der Verrückte, der in der Absicht, seinen Kopf von den
     Schultern zu reißen, heruntergesprungen war, er rieb sich den Fuß. Bigümsultan gab ihm Ratschläge, ein Buch lag aufgeschlagen
     auf dem Boden.
    Was sollte er tun? Um ihn nicht zu erschrecken, versteckte er den Putzstock hinter seinem Rücken, die Spitze ragte aber eine
     Handspanne hoch über seinen Kopf, der Verrückte sah hin und erschrak. Nein, sagte Hasan Bekir, ich steche dich bestimmt nicht
     ab. (Es muß gestattet sein, zu fragen, wieso die Südländer sich schreiend unterhalten. Wollen sie sichergehen, daß man jedes
     Wort versteht? Das Gegenüber darf im Streitfall kein Mißverständnis geltend machen, es wäre vermindert schuldfähig. Will der
     Schreiende jede künftige Komplikation ausschließen?) Schwan fünf fing an zu schnarren, der Schwanenvater drehte sich ruckartig
     um, und er sah, daß sich Hund und Schwan Schnauze an Schnabel beschnupperten, er überlegte noch, ob er den Putzstock wie eine
     Lanze nach dem wilden Tier werfen sollte, doch da zuckte er von einem Pfiff zusammen, und nun schnüffelte der Hund … die Hündin
     an seiner herabhängenden linken Hand. Im Zuchthaus hatte er seine Ausweichmanöver perfektioniert, da konnte wirklichjeder kommen und ihn herausfordern, er fand immer heraus – da war dieser Mustafa, der immer dann, wenn ihm der Kopf zersprang,
     einen kleinen Würfel in die Mokkatasse warf, die Öffnung der Tasse zuhielt und mit dieser selbstgemachten Schüttelrassel herumging,
     um seinen ›Liebling‹ des Tages auszulosen. Der Liebling mußte ein paar Schläge einstecken, der Liebling war vielleicht auch
     mal für die nächsten Tage ans Bett gefesselt, weil Mustafas Liebesfäuste niedergingen und keiner ihn vom Opfer wegzerren mochte.
     Sogar ihm war er ausgewichen, und am Tage seiner Entlassung hatte er aber einen harten Schlag auf den Hinterkopf eingesteckt.
     Und was hatte Mustafa zum Abschied gemurmelt? Ungeschicktes Fleisch muß weg.
    Hasan Bekir sprach diese Worte halblaut aus, er bekam einen Schub und tauchte ein in eine andere Welt, es schob sich zwischen
     ihn und dem, was er sah, ein Bild, das Bild eines Saals mit hochschwangeren Frauen, sie schwiegen und schritten durch den
     Raum, und als dies Bild zerwehte, sah er die Hündin am Stock nagen, er mußte ihm aus der Hand, aus der geöffneten Faust gerutscht
     sein. Ruf deinen Hund zurück, sagte er, er zerkaut mir mein Werkzeug, und da griff Bigümsultan nach dem Elektrokabel und führte
     das Tier weg, und auch wenn der Verrückte anbot, für den Schaden aufzukommen, Hasan Bekir lehnte es ab. An diesem eigenartigen
     Tag lernte er also, daß das Blattrascheln bei sanften Windstößen Sommerkummer auslöste, daß warme Luft etwas Unwillkommenes
     herbeitrug, man begann, zu stolpern und zu stottern, man besah die Bißspuren am Holzgriff des Putzstocks, und der Hundespeichel
     glänzte in den Kerben; man trat nicht mit dem ganzen Fuß auf, aber mit dem Außenrist oder dem Fußballen, und man spreizte
     die Zehen in den halb abgelaufenen Schuhen und wunderte sich über den Schmerz nachts im Bett. Ihm fiel ein, daß er es eine
     ganze Stunde ausgehalten hatte, ohne zu rauchen, ich atme jetztRauch in den Wind, dachte er und steckte sich eine Zigarette an, und also schauten Bigümsultan und er dem Mann zu, wie er
     seinen bestrumpften Fuß massierte. Es gab keinen, der es sich leichtmachte, vielleicht würden die beiden Kerle später zum
     Park zurückkehren, Bindfäden von der Rolle abreißen, sie zwischen Daumen und

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