Hinterland
Reihenfolge durch:
Wird er mich seiner Mutter vorstellen?
Werde ich dann feststellen müssen, daß sie zwei Jahre jünger ist als ich?
Hält er mich für eine ältere Schwester, mit der anzubändeln nicht mit einem Verbot belegt ist? (Eine schlimme Unterstellung,
sie schüttelt sich und schließt kurz die Augen. Besser, sie hätte nicht diesen kriminellen Gedanken gehabt.)
Werde ich kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich mich auf diese … Sache einlasse – wird Niklas sich von mir nicht endgültig
abwenden?
Einem kleinen Unglück mißt man manchmal eine große Bedeutung zu, und so glaubte Cora später, eingehüllt vom Rosenrot eines
Tagtraums, daß der Weinglassplitter zwischen ihren Zähnen auf das künftige Schlimme Beißende hinwies, das Schlimme Beißende
war mal ein rempelnder Passant, mal Zahnfleischbluten beim Zähneputzen, es befiel sie bei einem plötzlichen Wutausbruch eines
Besiegten und bei Wetterumschwüngen. Am Abendhimmel zeigte sich keine einzige Wolke, sie lag im Bett und dachte über diesen
Tag der vielen Fragen nach, über den Jungen, der gerne an der Seite einer Kiezberühmtheit gesehen werden wollte, sie fühlte
auch keine Scham dabei, sich dem Jungen nackt und frisch epiliert vorzustellen. Ihre hinkende Hälfte ragte über den Bettrand
hinaus, ihr Fuß lag auf dem Teppich auf, die Kante, die ihre mittlerweile verstorbene französische Bulldogge zerbissen hatte,
sah aus wie eine große bleiche Zunge. Sie tat besser daran, die Ohrstöpsel zu benutzen, denn heute empfing die Studentin den
Kroaten in ihrem Schauderzimmer, und ihre Mädchenlaute drangen durch die Decke bis zu Coras Wohnung, sie war der Floh, den
Cora husten hörte.
Der Einbrecher, der im Hinterhof auf die Altpapiertonne stieg, um unbemerkt das Badezimmerfenster aufzustemmen, vernahm einen
Mädchenlaut, den er aber für den letzten Seufzer eines mechanischen Spielzeugs hielt, und da er sich leicht klopfenden Herzens
durch das Fenster zwängte, den Kopf voran und die Füße noch durch den Fensterrahmen an die Flanken gepreßt, konnte er nur
auf die Bodenfliesen starren, als er einen Luftzug spürte, und dann zog ihn jemand an den Haaren hoch und hielt ihm ein Feuerzeug
unter die Nase. Wenn du zuckst, dreh’ ich am Feuerzeugrad, und die Flamme verkohlt dir dein Näschen! Eine falsche Bewegung,
und du bist gegrillt! Soll ich mit Ja antworten, oder soll ich nicken, sagte er. Nicken ist besser, sagte Cora, ein Perverser
steigt in meine Wohnung ein, ich werd’ verrückt. Er wollte widersprechen, doch die irre Frau riß ihm ein Büschel Haare aus
und packte wieder zu, er entschied sich fürs Stillhalten, er steckte fest, seine Beine hingen in der Luft, und dann bekam
er auch noch einen Schluckauf.
Fast hätte sie am Rad gedreht, blitzschnell zog sie einen Plastikhocker mit dem Bein heran und setzte sich hin, jetzt war
er gezwungen, auf ihre nackten Knie zu starren. In diesem Augenblick hörte er einen Mädchenlaut, und einen zweiten und einen
dritten, er beschloß, daß es das Beste war, die Laute zu zählen, immer wieder wurde er von einem Hicks durchgeschüttelt, die
Frau machte keine Anstalten, ihn freizugeben, er hielt es nicht länger aus und sagte, er wollte nur eine Sache richtigstellen,
ja, sie hatte ihn bei einem Raubzug erwischt, nein, er würde nie im Leben in fremde Wohnungen einbrechen, um einer Frau etwas
anzutun, und außerdem hätte er nie im Leben damit gerechnet, daß sie zu Hause war … Nie im Leben, nie im Leben, schrie Cora,
fällt dir nichts Besseres ein? Du lügst. Nein, sagte er, darf ich vielleicht meinen Kopf auf Ihrem Knie aufstützen, bitte
nicht falsch verstehen, mein Nacken tut entsetzlich weh, wenn Sie erlauben, lege ich meinenHinterkopf auf ihr Knie, und Sie halten das Feuerzeug unter meinen linken Nasenflügel, ich bin Ihnen so oder so ausgeliefert.
Cora zog ihn leicht an den Haaren und drückte ihm das spitze Knie ins Ohr, sie achtete darauf, daß seine Arme im Fensterrahmen
blieben, sie würde sich von einem Halbperversen nicht einlullen lassen. Ich bin früher als gewohnt nach Hause gekommen, sprach
sie, das stimmt, du weißt also, wo ich arbeite, also hast du wahrscheinlich schon in meiner Bar gesessen. Hab’ ich, sagte
er. Wie heißt du? Robert, sagte er. Ich soll dir glauben, daß du mich nicht im Schlaf anfallen wolltest. Und wahrscheinlich
verlangst du von mir, daß ich dich laufen lasse. Und bei der nächsten Gelegenheit
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