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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Goldkruzifix zwischen den großen Brüsten? Oder glaubt er, daß ich in meinem Menopausenalter für jedes Gespräch
     mit einem Mann dankbar bin? Und sie sagte: Wieso möchtest du eigentlich mit mir sprechen? Hast du was auf demHerzen? … Er lief rot an und wandte sich kurz ab und stammelte, daß er nicht vorgehabt hatte, sie wie die Bienen zu belästigen,
     er erhoffte sich nichts davon, nein falsch, es wäre auch egal. Was ist egal? sagte sie, willst du mich ausführen? Sie hätte
     sich fast wie die Tochter des Fotografen verschluckt, als er bejahte, aber sie hatte ja noch keinen Schluck genommen, statt
     dessen biß sie ins Weinglas, biß einen großen Splitter heraus und spuckte ihn aus, sie war unverletzt geblieben, sie nahm
     sich vor, diesen Tag als eigenartig zu bezeichnen, später, wenn sie nachts im Bett in Gedanken den Tag durchging.
    Jetzt stellte er das rechte Bein auf die Fußstütze des Barhockers, auf dem sie saß, er krempelte die Jeanshose mehrmals um
     und zeigte ihr die Wadentätowierung: Ein Frauenkopf, die Nase bestand aus zwei Punkten, die Augen schwarz umrandet, ein Lichtpunkt
     auf den roten Lippen, Lichtpunkte auf dem dünnen Seitenscheitel. Sehen Sie … siehst du die Ähnlichkeit? sagte er, vor zwei
     Jahren hat ihn mir ein Freund gestochen, er hat behauptet, er würde sich bei seinen Motiven auf seine Phantasie verlassen,
     er hat gelogen. Siehst du die beiden Worte, ›Cora Contra‹? Nicht Coca-Cola, sondern Cora gibt Contra … Sie ließ ihn davon
     schwärmen, daß er in düsteren Zeiten sich immer an diese Durchhalteparole gehalten hätte, sie las die Worte auf seiner verstoppelten
     Wade, wahrscheinlich rasierte sich der Junge regelmäßig und war aber nachlässig geworden, und da er in seiner Schwärmerei
     eindeutig übertrieb, unterbrach sie ihn und fragte, ob er mit dem Bild auf der Wade ausgehen wollte. Er eilte schnell zu einem
     Tisch und nahm die Bestellung auf, die Frauen am Tisch musterten ihn, sie starrten auf das bis zum Knie umgekrempelte Hosenbein,
     ihm schien es nichts auszumachen, er war vor der halb versehrten leibhaftigen Cora geflohen, und er dachte über eine Möglichkeit
     nach, sie auf ein kleines Abenteuer einzustimmen.
    Kaum war er zurück am Tresen, sprach sie ihn auf denTätowierer an, wie hieß er und, noch wichtiger, wo würde er seiner fragwürdigen Arbeit nachgehen. Tom, der gute Mann, sagte
     der Junge, so haben ihn alle genannt, er krümmte sich wie ein Kind mit dem Malstift über viele Körperteile, und manchmal war
     der Vorhang zwischen dem Wartezimmer und seinem Arbeitsraum zugezogen, da wußte ich, er krümmt sich über einen … Intimbereich,
     er hat einen Idioten rausgeprügelt, der durch einen Spalt im Vorhang reinspähte, nein, das war Toms Kunde, dem hat es nichts
     ausgemacht, vom Nabel bis zur Zehe nackt zu sein. Jedenfalls waren wir alle glücklich, denn der gute Mann hat uns das gegeben,
     was wir verlangten, nur ich hatte keine Idee, ich wollte nicht Yin und Yang, kein blutendes Herz, keine Schlange, die sich
     um eine Palme windet, nicht Anker, Kreuz und Herz, nicht einen von einem Dolch durchbohrten Totenschädel. Tom zeigte mir keltische
     Spiralkreise, aber nein, und schließlich ließ ich ihn machen. Irgendwann verschwand er, einen offiziellen Laden hatte er nie,
     seine Wohnung war gleichzeitig auch sein Atelier, er ist von hier weggezogen. Wohin? Keine Ahnung … Tom wie Thomas, dachte
     sie, Tom wie der verwirrte Mann, dessen sie sich annahm in den Monaten, da sie die tätowierten Kerle in ihrer Bar nicht ertrug,
     Tom zeichnete sie alle als Besiegte, und sie ließen ihn machen. Tom wie Thomas, der ihr zweitausend Euro schuldete, falsch,
     zweitausend Mark, dann kam die Währungsumstellung, und er fing an, von den Körpermalen zu sprechen, die er zeichnete, und
     er begeisterte sich an der Vorstellung, daß lebende Litfaßsäulen für ihn warben, der Sommer war die Jahreszeit seiner Hochstimmung,
     denn die leichtbekleideten Besiegten zeigten die Bilder auf ihrer Haut, es konnte passieren, daß Tom an einem einzigen Tag
     ein halbes Dutzend Kunden sah. Gut, sagte sie, gut – bekomme ich Falten im Gesicht, wenn du einen Wadenkrampf hast? Darauf
     habe ich nicht geachtet, sagte er, werde ich das nächste Mal tun. Nimmst du meine Einladung an? … Warum sollte ich es?Er hatte sich in eine Wadenprominente verschossen, wollte sie mehr als diese stoppelige Wade anfassen? Und sie ging in Gedanken
     die Fragen in folgender

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