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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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streicheln,
     riß die Sohle in der Mitte. Es machte ihnen nichts aus, sie liefen auf gespaltenen Sohlen und zogen sich eine Gehbehinderung
     zu, der Knilch wird zum Krüppel, rief mein Meister aus, der Krüppel bringt mir seine zerlatschten Nahkampftreter, der Geruch
     des Leders steigt mir in die Nase und trocknet die Schleimhäute aus … Er hatte mir freigegeben. Er hatte in den Hörer geschrien,
     daß mir jedes Talent fehlte, ordentliche Schuhe zu machen, in den kommenden Wochen sollte ich ihn in Ruhe lassen, er dulde
     keinen Narren in seiner Umgebung, ich möge doch bitte schön mein Glück bei der Feuerwehr versuchen.
    Alle Notzufahrten sind mir verschlossen, dachte ich, und jetzt muß ich also in Berlin, wieder einmal in Berlin, eine Frau
     umstimmen. Ein glimmendes Scheit ins Dunkel halten. Hoffen, daß der Dunst, der schwarze Dunst vor meinen Augen,verflog. Es gab die Zeit, da mein Meister Pastetenrinden für Brot aß, die Not lehrte Künste, und seither glaubte er an die
     Macht der Rute, wenn die Rute ausgedient hat, muß sie in den Ofen, sagte er, und was sollte ich Aneschka sagen, sollte ich
     mich ihr zeigen, als wäre ich in neuen Künsten geschult, als hätten mir die Schläge den unsauberen Geist ausgetrieben, als
     wäre ich ein Verwandelter, der einen Zehentrenner von einem modischen Plastikkamm unterscheiden konnte. Ich starrte auf das
     Flugblatt und verstand: Die Widerständler hatten in geschälte halbe Kartoffeln die Umrißform einer Faust geschnitzt und sie
     ausgehöhlt, um mit dem Kartoffelstempel auf hundert fünfhundert tausend Handzettel das Bildzeichen ihrer Bewegung zu drucken.
     Es wurde Zeit, Aneschka zu treffen, die Bahnsteige in der Tiefetage des Berliner Hauptbahnhofs waren voller Wochenendbesucher,
     ich sah eine Handvoll Süddeutscher am Fahrplanglaskasten, und weil die Männer verlegen nach dem Ausgang aus diesem tiefen
     Schacht schielten, hielten sie es nicht mehr aus und stimmten wilde Gesänge an, es klang wie der Nachhall kleiner Detonationen.
     Der Griff meines Koffers brach auf der Rolltreppe, die Lust verging mir nicht, die zu Mittag Verschnapsten umschwirrten mich
     auf dem Vorplatz, die Lust verging mir nicht, und als ich vor ihr stand, überreichte ich ihr Wiesenschaumkraut und Kuckucksnelken
     mit geschlitzten rosa Blüten im Strauß, und ich sagte: Habe sie frühmorgens gerupft, vom Straßenrand, habe die Stengel schräg
     geschnitten, weil sie dann mehr Wasser aufnehmen und länger leben, in einer weißen Vase oder in einem hohen Wasserglas machen
     sie sich bestimmt gut …
     
    Ihre lackierten Zehennägel, die Halbmonde auf den Zehenkuppen. Ein Luftzug ließ die Staubfäden an der Stützsäule im Eingang
     zittern, Ferda blickte an ihr vorbei ins Zimmer, und vielleicht würden ihm die vertrockneten Maikränze auffallen, die an den
     Balkonbrüstungen im Haus gegenüber hingen, inder Hornissenhitze der letzten zwei Tage verdorrte alles in der Stadt, deshalb hatte sie auf Kaffee verzichtet und trank
     nur noch Entgiftungstee, so viele Insekten, so wenige Libellen, und kaum hatte sie es gedacht und wollte es aussprechen, entdeckte
     sie die Fliegenleichen auf seinem hellblauen Hemd. Und sie behielt dieses Geheimnis für sich. Die Halskette, an der an jedem
     dritten Glied eine eingefaßte Spiegelscherbe hing, er wollte danach greifen und verhielt aber in der Bewegung, in seiner Hosentasche
     waren fünf Glückspfennige aus fünf deutschen Städten, am Taxistand auf der Bürgersteigkante hatte er auch einen Pfennig, nein,
     einen Cent gefunden – sollte er die Tasche herauszupfen, damit ihr die Pfennige und die Centmünze vor die Füße, vor die glänzenden
     Zehen fielen? Und sie aßen dann im Bett. Kümmelstangen, nackt lagen sie auf den Bettdecken, die Beine ineinander verschränkt,
     die Tagesdecke glitt in dem Augenblick zu Boden, da Ferda davon erzählte, wie er einem Mann mit zertrümmerten Fersen Pistazien
     in einer Papiertüte abgekauft hatte. Der Mann riß eine Zeitungsseite in Streifen, rollte die Streifen zu Kegeln, drückte das
     spitze Ende fest und knickte es um, man hatte ihn versehentlich in die Toilette eingeschlossen, er war aus dem Fenster herausgeklettert
     und hatte sich zwei Stockwerke fallen lassen, ein Pistazienhändler, dem man ansah, daß er log, als er behauptete, er wäre
     ein Kriegsveteran, denn die Orden, die an der Brusttasche eines Jacketts hingen, zierten kyrillische Buchstaben … Nicht weitersprechen.
     Nicht eine Frau

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