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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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weg. Und was geschah? Er stand
     auf, verlangte seine Waffe zurück und ging aber mit leeren Händen weg, sie sahen ihm hinterher, er hatte seinen Kragen naßgeschwitzt,
     eine Ärmelnaht war aufgeplatzt, und es überraschte die drei Frauen, daß Niklas ihm folgte, er stieg langsam die Treppen hinunter,
     sie konnten seine Kopfhaut durch das schüttere Haar durchscheinen sehen.
    Vor dem Haus, dann zehn Schritte weiter weg, drehte sich der Spanier um, Niklas sagte: Du hast sie mit deinen Schlägen vertrieben,
     das muß dir doch klar sein, mich trifft keine Schuld. Jeder Schlag war ein Schritt von dir weg. (Ein schuldiger Liebender
     braucht keine Belehrung – es ist vorbei, es ist, als hätte all das nicht stattgefunden. All das? Der Kleinkram der Liebe liegt
     bei dem Spanier in der Wohnung, verstreut über die Schubladen und die Stauflächen der Schränke und Kommoden: Haare, Kamm,
     Nylonstrümpfe, Make-up-Utensilien, falsche Fingernägel. Daher brachte es ihn aus der Fassung, als ihm die Zehentrimmer ins
     Gesicht flogen. Auch der idiotisch Rasende, auch der um seine Verkommenheit wissende Mann braucht viele Tage, um zu begreifen.
     Da wirder den Kleinkram in Tüten stopfen und entsorgen. All das? Ja, das war’s.)
    Der Spanier verließ sich auf seine Kondition und entschied, den langen Weg nach Hause zu Fuß zurückzulegen.
     
    Und der Fotograf? Er sprach niemals von seinen Arbeiten oder Fotografien, er sprach von seinen Bildern. Er sprach niemals
     von seinen Apparaten und der Mechanik, er sprach immer davon, daß es genauso einfach wäre, wie einen Grashalm zu knicken –
     also nannten ihn einige auch den Grashalmknicker; es paßte, weil er keine vier Klimmzüge in Folge machen konnte. Auf einem
     guten oder schönen Bild war alles am richtigen Platz, er malte sie zusammen, und dann summte eine Mücke neben einem Elefanten,
     und im Hintergrund, in der natürlichen Unschärfe belassen, ging gerade der Zoowart mit dem vollen Dungkübel vorbei, und es
     geschah, daß eine schöne Frau, die seine Einladung nicht ausschlug und das Foto im rahmenlosen Bildhalter an der Wand ansah
     … daß diese Frau sagte: Der Elefant hat aber einen sehr runzeligen Rüssel, hast du etwa nachgebessert? Das tat er nur selten,
     wie im Falle eines Mannes, dem ein Marder die Kühlschläuche seines Wagens zerbissen hatte, und der Mann schrie, daß man die
     Marder in der Stadt zurück in die Wildnis treiben sollte, und in dem Augenblick, da ihm die Halsschlagader geschwollen war,
     hatte er auf den Auslöser gedrückt. Später aber mußte er ihm eine Narbe wegretuschieren, sie zog den Mundwinkel nach oben
     und ließ den Entrüsteten unglaubwürdig erscheinen.
    In der Kälte froren die Menschen ein, in der Wärme wurden sie leichtsinnig, und wann immer aber ein Schatten auf sie fiel
     – der Schatten eines auf Stützrädern fahrenden Kindes, der Schatten einer aufflatternden Krähe mit einem halben Butterbrötchen
     im Schnabel –, stutzten sie, als griffe eine Hand nach ihnen und zöge sie weg. Es kam ihm nicht komisch vor, daß er meist
     in der Nähe eines kurz beschatteten Mannes war,bei Frauen mußte er achtgeben, er wollte keine Frau in einer Angstsekunde überrumpeln, das stand ihm nicht zu. Trotzdem machte
     er Bilder von ihnen, und einmal hatte er eine alte Dame fotografiert: Sie steckte erst nach langem Zögern ihren Kopf in die
     Höhle eines Summsteins und fing an, zu brummen, und da, bei einem tiefen Ton, summte der Stein. Auf dem Bild sah man sie erschrocken
     zusammenfahren, ihre frisch frisierte und wunderschön glänzende Haarhaube halb in der Höhle, das Ledertäschchen war im Schwung
     eingefangen, und zwei gaffende Kleinkinder zeigten seltsamerweise ihre Handinnenflächen vor, so als wären sie endlich bereit,
     sich zu ergeben.
    Seine Tochter Helen hielt ihn für einen Jäger der Schwärmer, die die meiste Zeit unentdeckt bleiben wollten, die bewußt steif
     dahergingen und spröde dahinsprachen, um sich zu tarnen. Kam er in ihre Nähe, täuschte er Steifheit vor und schoß ein Foto,
     zeichnete das Porträt des Schwärmers in einem beobachteten Moment. Er versteckte ein Bild vor ihr, das Bild des Spaniers beim
     tiefen Einatmen auf offener Straße, das enge Hemd spannte über der Brust, und hinter ihm ein dicker Taxifahrer, der am offenen
     Wagenschlag stand und dem fremden schlanken Mann spöttisch nachschaute – das Glück jener Tage war zerronnen.
    Und also wechselte Niklas Heldt die Straßenseite,

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