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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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unterhalten wollen, die langsam fror und an den Oberschenkeln und Armen Gänsehaut bekam, besser wäre es, zu
     schweigen und die Tagesdecke über ihren schönen Körper zu ziehen. Und er tat es. Von Miesmuscheln im goldbraunen Breiteig
     erzählte er also nicht, aber von dem Jungen, der ihm Kardamomkaffee eingeschenkt hatte in ein Täßchen, in alter Zeit war es
     Brauch, die Kosten für das Hochzeitsfest zu übernehmen, wenn man das Täßchen auf den Tisch stellte, stattes dem Jungen mit der umgehängten Schnabelkanne in die Hand zu drücken; war der Junge schon verheiratet, mußte man einen
     Goldtaler in das Täßchen legen. An diese Bräuche hielt sich heute niemand, und nur die Hügelwilden, die ein wunderbares Türkisch
     sprachen, blieben manchmal mitten im Schritt stehen, ein sanfter Wind umwehte ihren ausrasierten Nacken und ließ sie sich
     an Vaters Sitten erinnern.
    Aneschka hörte Laute und Wortfetzen von der Straße, die Autos fuhren langsam an dem übermannshohen Bretterzaun der Baustelle
     vorbei, den müden Männern auf den Balkonen trieb der Staub in der Luft Tränen in die Augen. Wenn mir der Koffer geklaut wird,
     verlier’ ich fast meine ganze Garderobe, sagte sie, das wäre ein sehr effektiver Diebstahl, und sie räkelte sich unter der
     Decke und kroch darunter, weil der Nachbar Löcher in die Wand bohrte, er ehrte Vaters Sitte der Mittagsruhe und ließ aber
     nicht unnötig Zeit verstreichen, um einer seltsamen Arbeit nachzugehen. Sie hatten also dieses Apartment in der Schwedter
     Straße für zehn Tage gemietet, und kaum war der zweite Tag zu einem Dreiviertel vergangen, kam ihr Liebhaber und überreichte
     ihr einen Strauß Wiesenblumen, er sprach über dies, sie sprach über das, und während die Liebenden vorsichtige Worte dieser
     Zeit nach der Entzweiung fanden, zertrat der Sohn des Obsthändlers zwei Parallelstraßen weiter Kartons und Kisten, in seinem
     Kopf hatten sich andere Worte festgesetzt, und wenn nicht bei jedem Tritt, so doch bei jedem dritten flüsterte er: Morgen
     ist kein Untergang. Er war der Unterweisungen seines Vaters überdrüssig, das Echte sollte er nicht verraten und das Gute nicht
     verbessern; hier, in der Kastanienallee, da sich die Frauen in den Farben des Sommers kleideten, war es ratsam, sorglos zu
     erscheinen, und doch versteckte er seine Augen nicht hinter einer Sonnenbrille, und doch sann er bei jedem fünften und sechsten
     Tritt darüber nach, ob es nicht falsch klang, was er dem Kunden gesagt hatte. Der Kunde: Alles gut?Er, der Sohn: Ja. Liebe klappt. Leben klappt. Geschäfte werden besser … Fast alles gelogen. Vor Zorn trat er besonders heftig
     zu, und er flüsterte wieder, daß morgen kein Untergang wäre, jetzt fragte der Kunde einen Mann: Ist der Kragen ab?, da flitzte
     eine französische Bulldogge mit Fledermausohren hinter einem Stromkasten hervor, nein, es war ein Terrier mit einem Plastiktrichter
     am Hals, er ließ sich von den Tritten nicht verängstigen, im Gegenteil, er schnupperte an seiner Schuhspitze. Als sein Herrchen
     ihn bei seinem Namen rief, mußte der Sohn des Obsthändlers grinsen, Mücke hieß der Terrier, Mücke wie die Fruchtfliege über
     der einzigen halben Wassermelone, die nicht in dünne Plastikfolie eingewickelt war.
    Und während der vierzehnjährige Sohn eines kroatischen Obsthändlers den Ruf seines Vaters aus dem Laden vernahm und sich zwang,
     sorglos zu erscheinen, obwohl die Gedanken und Ideen in seinem Kopf ausliefen in seinen Körper, saß der geknebelte Einbrecher
     in Coras Wohnzimmer und sah ihr dabei zu, wie sie schnipsen übte. Sie ahmte mit den Fingern eine Kastagnette nach, in seinen
     Ohren klang es, als bräche man zehn Salzstangen im Bund in der Mitte entzwei. Sie hatte ihm den Mund netterweise nicht zugeklebt,
     er konnte also nach Herzenslust schreien, aber er würde doch nur andere auf sich aufmerksam machen. Der Himbeersaft hatte
     ihn nicht wirklich erfrischt, er war nur froh, daß der gewalttätige Ausländer nicht länger bei ihm stand – der Mann jagte
     ihm eine große Angst ein, er hatte Saft auf seine Haare geschüttet und sie mit bloßen Händen nach vorne frisiert, um ihn,
     wie er sagte, zu bestrafen.
    Plötzlich hörte Cora auf zu schnipsen, und sie sagte: Wenn ich dich hier bei mir behalte, mache ich mich der Gefangennahme
     fremder Mitmenschen schuldig. Es fehlt noch, daß man mich einbuchtet. Ich lass’ dich frei, hörst du, du bist kein gebürtiger
     Berliner, woher kommst

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