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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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lehnte an einem Steinpoller und hoffte die nächste halbe Stunde auf eine
     Eingebung, es machte keinen Sinn, zurückzukehren in die Wohnung, er wäre den drei Frauen nicht gewachsen, sie würden ihn bestimmt
     in ein Gespräch verwickeln wollen, in dem es um Versagen und Bestehen ginge. Eine Unterhaltung im Gefolge einer sinnlosen
     Tat schwebte Helen und Aneschka und auch der Barbesitzerin keineswegs vor, die Zehentrenner waren in der Kulturtasche verschwunden,
     und die Kaffeetassen standen verkehrt herum im Abtropfgitter, Cora schluckte, weil ihre ruinierte Hälfte zitterte, eine Tablette
     und wünschteeinen angenehmen Tag. Es würde sie nicht weiterbringen, wenn sie die Polizei anriefen, sie winkte ihrem angelehnt dämmernden
     Schwarm zu und eilte weiter: Sie wurde von Bienen umflogen, zwei Bienen flogen um ihren Kopf, und das Hinken verwirrte sie
     kurz, doch da war keine Hand, die sie wegwedelte. Eine Biene war an diesem Morgen durch die Lüftungsklappen mit der Luft in
     ein Auto gesogen worden, und sie hatte es überlebt, und sie flog durch das offene Seitenfenster, vielmehr wurde sie vom Fahrtwind
     erfaßt und fast gegen einen Laternenpfahl geschleudert, ihre Flügel und ihr molliger kleiner Körper blieben heil. Die andere
     Biene hatte sich ihr angeschlossen, ein Windstoß wehte sie zusammen, das Mohnrot einer Weste zog die Bienen an, und weil sie
     den aufragenden Kopf für die Staubblätter eines Tausendgüldenkrauts hielten, schwirrten sie heran.
    Und Cora, vom Gesumm belästigt, von ihren Gedanken an den Fotografen abgelenkt, zog den Kopf ein und flüchtete in eine Bar
     und bestellte den Hauswein mit einem einzigen Eiswürfel, der Wein, das wußte sie, schmeckte lausig, der Eiswürfel, das hatte
     sie sich abgeschaut, schmolz schnell, und man konnte sich nach dem dritten Schluck einbilden, daß man verwässerten Kirschsirup
     trank. Der Kettenanhänger lag genau auf dem ersten zugeknöpften Westenknopf, und als sie ihn hastig in den Ausschnitt steckte,
     wurde ein junger Mann auf sie aufmerksam, er band sich gerade die kurze Kellnerschürze um, der Saum umflatterte seine Oberschenkel
     und ließ ihn albern aussehen. Er kannte sie, sie kannte ihn nicht. (Die Bar › Razzia in Budapest ‹ wurde von den meisten Anwohnern
     für eine Eckkneipe gehalten, in der sich Rocker oder die bunten Hunde der kriminellen Szene aufhielten. Doch das war falsch.
     An manchen Tagen konnte man auf der Terrasse auffallend viele Tätowierte entdecken, sie fanden große Freude daran, durch finsteres
     Stieren aus dem Dunkel unter der Markise ihren Hoheitsanspruch auf ein Stück Pflaster geltendzu machen. Ansonsten waren sie nett, sie halfen jedem auf, der hinfiel, sie wären auch Cora, der Herrin über ihre Getränke,
     zu Hilfe geeilt und hätten die staubblätterverliebten Bienen verscheucht.) Eine Frau, die Wein trank, in dem ein Eiswürfel
     schwamm, war für den jungen Mann interessant.
    Zu Coras Verblüffung verbeugte er sich an ihrem Tisch, altmodische alte Männer stießen sie ab, altmodische junge Männer aber
     … hatte sie bislang nicht getroffen. Budapest, sagte er, Sie sind die Budapesterin, bin ich nicht, sagte sie, Sie tragen auch
     keine Hundemarke, oder? Natürlich hatte er mit Worten der Anerkennung gerechnet, er wollte ihr nur ein Kompliment machen und
     sie lächeln sehen, und da sein Wunsch nicht in Erfüllung ging, da ihn ihre schroffe Antwort verletzte, nickte er langsam und
     bediente andere Gäste. Dann aber flüsterte jemand, nah an seinem Ohr und hinter seinem Rücken, jemand flüsterte: Tut mir leid,
     es ist wegen der Gaspistole, die losging, und wegen der Bienen. Sie kletterte auf einen Barhocker, und er stand am
    Tresen, eine Viertelstunde nach dem kleinen Zusammenstoß, denn tatsächlich war er vor Schreck mit ihr kollidiert. Er sagte:
     Sie duzen mich, ich find’s gut, soll ich Sie trotzdem weiter siezen? Nein, sagte sie, das wäre dumm. Euer Wein ist teuer und
     schmeckt schlecht, wieso tut ihr das? Weil der Chef Geld verdienen will, Sie … du kennst das ja. Am liebsten hätte sie ihn
     wieder zurechtgewiesen, sie hielt sich aber zurück, er schaute ihr direkt ins Gesicht, deshalb wurde sie für Sekunden unaufmerksam
     und rutschte vom Sitz herunter, sie konnte sich noch an der Tresenkante festhalten. Vertreibe ich ihm die Langeweile, dachte
     sie, unterhält er sich mit mir, weil er auf ein freies Getränk in meiner Bar spekuliert? Bin ich in seinen Augen die wüste
     Mutter mit dem

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