Hiobs Brüder
sank. Der Prinz entkam in einem kleinen Beiboot. Doch als er die Hilfeschreie hörte, kehrte er um. Die Ertrinkenden klammerten sich an sein Boot … brachten es zum Kentern und …« Sie brach ab und atmete tief durch. Dann fuhr sie fort: »Nur ein Metzger aus Rouen überlebte, schwamm zurück an Land und überbrachte die Schreckensbotschaft. Prinz William, zwei seiner unehelichen Geschwister, beinah sein gesamter Haushalt – alle tot. Mein Bruder Richard verlor beide Söhne. Sie waren Ritter im Haushalt des Prinzen, zählten zu seinen engsten Freunden. Zwanzig Jahre alt der eine, siebzehn der andere, genau wie der Prinz. Mein Bruder hat die Nachricht keine zwei Wochen überlebt. Und Henry … der König war ein maßvoller Mensch, aber die Trauer um seinen Sohn kannte keine Grenzen. Sie war schwer mit anzusehen. Ich musste dem König Trost spenden und gleichzeitig meine Tochter betrauern und entscheiden, was aus dir werden sollte, winziges Waisenknäblein, das du warst. Schlimme Tage und Nächte waren das. Schlimm genug, um mich heute noch zu erschüttern.« Sie sagte es nüchtern, mit trockenen Augen, aber er sah, dass sie dennoch aufgewühlt war.
Er nickte und hielt sich mit Mühe davon ab, sie zu fragen, wieso ausgerechnet sie dem König Trost gespendet habe.
Sie antwortete ihm dennoch. »Die Königin war zwei Jahre zuvor gestorben. Henry … war einsam nach ihrem Tod. Nie allein, aber einsam. Ich war es auch. Und so … fanden wir dann irgendwie doch noch zueinander. Nach all den Jahren.«
Er schlug die Beine übereinander und lehnte sich mit dem Rücken an die kalte Mauer. »Ich habe das Gefühl, du erzählst mir Dinge, die mich nichts angehen.«
Matilda schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Sie gehen dich etwas an, denn nur wenn du diese Dinge weißt, kannst du verstehen, welchen Weg deine Mutter eingeschlagen hat.«
»Das klingt nicht gut«, murmelte er und verschränkte die Arme.
Seine Großmutter lächelte. Eine Spur überheblich, argwöhnte er. »Ihr Vater verlobte sie mit Hamo de Clare …«
» De Clare ?«, unterbrach er verblüfft.
»Hm. Hamo dürfte ein Cousin oder Onkel deines Freundes Simon gewesen sein. Die de Clare sind zahlreich, weiß Gott. Der junge Hamo war ebenso besessen vom Krieg gegen die Heiden wie mein Gemahl und ständig mit ihm in Outremer . Adelisa … Ich schickte deine Mutter an den Hof, wo sie sich die Wartezeit auf ihren ewig abgängigen Verlobten vertreiben und ihre Scheu vor der Welt verlieren sollte. Und dort begegnete sie Prinz William.«
Es war einen Moment still.
»Und sie teilte das Schicksal ihrer Mutter und verliebte sich in den Prinzen, den sie nicht haben konnte, richtig?«, spöttelte er.
»Sei so gut und schenk mir einen Becher Wein ein«, bekam er zur Antwort. »Nimm dir auch einen. Du wirst ihn brauchen.«
Er sah sich kurz um, entdeckte Krug und Becher auf einer Truhe jenseits des Bettes, stand auf und holte sie herüber. Es waren schlichte Zinngefäße. Er blieb stehen, während er einschenkte, reichte seiner Großmutter den Becher am ausgestreckten Arm und bemerkte: »Daraus darf ich schließen, dass ich ein Bastard von königlichem Geblüt bin?«
»Was immer dir in den letzten drei Jahren geschehen sein mag, wenigstens dein Verstand hat nicht gelitten.«
»Wenn wir von der Kleinigkeit absehen, dass ich vergessen habe, wer ich bin. William Ætheling, der edle Prinz, hat die unerfahrene, weltfremde Jungfrau vom Lande also in sein Bett gelockt, und du hast es zugelassen, damit deine Tochter nicht das gleiche Schicksal erleiden musste wie du?«
Matilda nickte ohne die geringsten Anzeichen von Scham, und sie lächelte voller Nostalgie. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie verliebt sie waren. Im Sommer zuvor hatte Henry seinen Sohn mit der Tochter des Grafen von Anjou verheiratet, aber der Prinz war viel in England, um es zu regieren, während der König Krieg in der Normandie führte. Prinz William hatte kein großes Interesse an seiner Gemahlin. Aber er war besessen von deiner Mutter.« Sie trank einen Schluck, stellte den Becher versonnen ab und beugte sich ein wenig vor, um ihrem Enkel in die Augen zu schauen. »Du kannst mit Fug und Recht behaupten, dass ich leichtfertig die Zukunft eines unerfahrenen jungen Mädchens aufs Spiel gesetzt habe, weil ich nicht eingeschritten bin. Aber wie sich herausstellen sollte, war ihr keine Zukunft bestimmt. Und ihm ebenso wenig. Darum bin ich froh über meine Entscheidung.«
»Ja. Das kann ich verstehen«,
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