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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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geriet ins Stocken und warf einen verstohlenen Blick über die Schulter auf die übrigen Gefährten.
    »Wahnsinnig«, bestätigte Wulfric, und sein Bruder fügte hinzu: »Es war sehr klug von Euch, die Kette zu kürzen. Darauf wär ich nie gekommen.«
    »Das war Lord Henrys Idee«, räumte Guillaume ein. »Der Kerl sei ein Mörder, hat er gesagt. Ist das wahr?«
    »Und Schlimmeres«, erwiderte Simon grimmig. »Es ist erst drei Wochen her, da hätte er Alan um ein Haar umgebracht. Den Mann, der ihm das Leben gerettet hatte. Er ist ein Scheusal. Ein Monstrum, wenn Ihr die Wahrheit wissen wollt. Vielleicht gelingt es Euch ja, Alan zu überreden, ihn dem Sheriff zu übergeben.«
    Guillaume sah ihn ungläubig an und schnaubte. Es war eher ein grimmiger als ein belustigter Laut. »Hier gibt es schon lange keinen Sheriff mehr. In ganz East Anglia herrscht seit Jahren Rechtlosigkeit.«
    »Das sieht man Helmsby nicht an«, bemerkte Godric.
    Er hatte leise gesprochen, aber Guillaume hatte ihn dennoch gehört und erwiderte: »Helmsby ist eine Insel in einem sehr stürmischen Meer. Die Insel der Seligen, wenn ihr so wollt.«
    Es war eine wirklich schlimme Nacht gewesen. Die Kammer, in die er sich geflüchtet hatte, war unbewohnt und unmöbliert. Also hatte er in der völligen Dunkelheit auf den eiskalten Steinfliesen gelegen, zitternd, blind und in geradezu widerwärtiger Weise wehrlos. Er hatte nichts, aber auch gar nichts gefunden, was er dem Schwindel, dem Grauen und der Ödnis seiner Seele entgegensetzen konnte. Kurz vor Tagesanbruch, als der Sturm sich legte, hatte seine Erschöpfung sich schließlich zu ihrem Recht verholfen, und er war endlich eingeschlafen.
    Er hatte wieder von Miriam geträumt, und genau wie in seinem letzten Traum hatten sie zusammen auf der Bank im Garten gesessen. Er wusste nicht, worüber sie geredet hatten, aber sie waren vertraut miteinander gewesen. Ganz nah hatten sie beieinandergesessen, sodass ihre Knie und ihre Schultern sich beinah berührten. Er erinnerte sich, dass die Sonne ihm den Rücken gewärmt hatte. Und Miriam hatte ein Blatt in der Hand gehalten und ihm gezeigt. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und gelacht, er war mit den Lippen über die zarte Haut ihrer Wange gestrichen, und alles war leicht und unbeschwert gewesen.
    Mit diesem Gefühl war er erwacht. Er versuchte, noch einen Moment daran festzuhalten, doch als es sich verflüchtigte, kämpfte er nicht, sondern ließ es los. Er wusste, es konnte nicht bleiben. Denn er hatte nichts von dem vergessen, was sich am Abend zuvor ereignet hatte.
    Er setzte sich auf und unterdrückte ein Stöhnen. Seine Glieder waren steif und kalt; er fühlte sich, als sei er hundert Jahre alt. Dabei war er doch noch nicht einmal siebenundzwanzig, wie er seit gestern wusste.
    Alan de Lisieux.
    Alan of Helmsby.
    Er ließ sich die Namen durch den Kopf gehen, murmelte sie vor sich hin und lauschte dem Klang. Sie waren bedeutungslos. Und je öfter er sie aussprach oder sie auch nur dachte, umso sinnloser kamen sie ihm vor. Leer und unnütz wie eine Hülse ohne Frucht.
    Alan of Helmsby. Erbauer von Helmsby Castle, wie es schien. Kein berühmter Kreuzfahrer, der Akkon vor dem Fall bewahrt hatte, aber immerhin der Enkel eines solchen Mannes. Und was weiter?
    Langsam kam er auf die Füße. Es war nicht allein die Steifheit seiner Glieder, die seine Bewegungen so untypisch schleppend machte, sondern vor allem der Unwille, eine Antwort auf seine Frage zu finden. Er ließ Kopf und Schultern kreisen, um ein wenig Beweglichkeit zurückzuerlangen, und ging zur Tür in der Absicht, sich auf die Suche nach einem Abort zu machen. Dann wollte er seine Gefährten und ein Frühstück finden − in dieser Reihenfolge −, und danach, so hoffte er, war er vielleicht hinreichend gestärkt, um dem Unbekannten ins Auge zu sehen, der er war. Diesem selbstgerechten Bastard, Alan of Helmsby.
    Doch er hatte die Tür kaum geöffnet, da wurde sein Plan schon vereitelt, denn er fand sich Auge in Auge mit Henry Plantagenet, der mindestens so strahlte wie die Frühlingssonne draußen und ihn mit den Worten begrüßte: »Guten Morgen, Cousin!«
    Die Anrede fuhr Alan durch Mark und Knochen. »Jesus … Das sind wir tatsächlich.«
    »Sag nicht, darauf bist du noch nicht gekommen.«
    Alan schüttelte den Kopf. »Aber du musst mich nicht so nennen, wenn ich dir peinlich bin.«
    Henrys breites Grinsen verschwand, und mit einem Mal war seine Miene sturmumwölkt. Alan war bereits

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