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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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leid. Ich wünschte, die Dinge wären anders.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Deine Heimkehr ist eine Freude für mich, deren Ausmaß ein junger Mensch wie du sich vermutlich nicht vorstellen kann. Es ist wahr, was Guillaume sagte, ich habe nie daran geglaubt, dass du tot bist. Aber allmählich fing ich an zu zweifeln, ob ich dich je wiedersehen würde, denn ich bin sechsundsechzig Jahre alt.«
    Er nickte, und sie sahen sich einen Moment an. Es war der erste Augenblick der Vertrautheit, den sie teilten.
    »Also?«, fragte er schließlich und breitete mit einem verlegenen kleinen Lächeln die Arme aus. »Wer bin ich?«
    Sie lachte leise. Es war ein warmes, aber fast ein wenig boshaftes Lachen. »Müssen wir gleich mit der schwierigsten Frage beginnen?«
    »Na schön. Dann sag mir, wer bist du?«
    »Die Tochter und das einzige noch lebende Kind von Cædmon of Helmsby und Aliesa de Ponthieu.« Sie wartete einen Moment und sah ihn prüfend an, um festzustellen, ob die Namen ihm irgendetwas sagten. Aber er schüttelte den Kopf. Sie fuhr fort: »Er war ein kleiner angelsächsischer Landedelmann, sie eine normannische Adlige. Ein seltsames und tragisches Schicksal hat sie zusammengeführt, aber das erzähle ich dir ein andermal. Mein Vater war ein berühmter Mann. Sie nannten ihn den Mund des Eroberers. Er war König Williams Übersetzer, und glaub mir, das war kein leichtes Amt.«
    »Das kann ich mir vorstellen. William war ein Wüterich.«
    Matilda zog die Brauen hoch. »Sieh an. Das weißt du?«
    Er nickte und sah auf seine leere Eintopfschale hinab. »Ich scheine eine ganze Menge von den Dingen zu wissen, die früher waren. Nur über meine eigene Geschichte, meine Familie, alle persönlichen Dinge weiß ich nichts.«
    »Hast du dafür irgendeine Erklärung?«
    »Nein. Meine Erinnerung beginnt an einem Tag vor etwa drei Jahren, als ich in einem Kloster aus dem Fieber erwachte, und …«
    »Wo warst du in all der Zeit?«, fiel sie ihm ins Wort. »Was hast du in diesen drei Jahren gemacht?«
    Er sagte es ihr. In wenigen kurzen Sätzen und so schonend wie möglich berichtete er ihr von der Zeit auf der Insel. Matilda of Helmsby hatte offenbar keine Mühe, zu erraten, was er ihr verschwieg. Die blauen Augen schimmerten einen Moment verdächtig, dann schloss sie die Lider und schüttelte den Kopf.
    »Ich trug einen Kreuzfahrermantel, als ich zu mir kam«, setzte er seinen Bericht fort. »Daher weiß ich, dass ich im Heiligen Krieg war. Ich träume auch davon. Von einem Ritt nach Akkon. Aber …«
    Sie öffnete die Augen und unterbrach ihn schon wieder. »Das ist sehr merkwürdig, denn du bist niemals im Heiligen Land gewesen.«
    »Was? Aber … ich muss dort gewesen sein. Der Mantel. Der Traum. Woher sollte ich wissen, wie der Weg nach Akkon aussieht …« Er brach ab, als er Josua ben Isaacs Stimme in seiner Erinnerung hörte: Akkon liegt nicht in der Wüste .
    Matilda hob die Linke, zögerte einen Moment und ergriff dann seine rechte Hand. »Es waren die Erinnerungen deines Großvaters, meines Gemahls. Er hat die Nachricht nach Akkon gebracht und es vor dem Fall gerettet.«
    »Und das Blut seines Pferdes getrunken, um hinzugelangen?«
    »So heißt es. Wir haben es indes nie von ihm selbst gehört. Aber wie dem auch sei, es muss schrecklich gewesen sein, und er hätte es beinah nicht geschafft. Sein Ritt nach Akkon ist Teil unserer Familiengeschichte geworden, die abends am Feuer erzählt wird. Jeder, der sie erzählt, erfindet etwas hinzu. Du hast sie als Junge ungezählte Male gehört. Du warst ganz versessen auf all diese Geschichten aus dem Heiligen Land, wenn ich jetzt so darüber nachdenke.«
    Er seufzte mutlos. »Also ist meine einzige Erinnerung ein Trugbild.«
    »Ich fürchte.«
    »Mein Großvater ist tot?«
    »Schon lange. Er starb vor über dreißig Jahren in Jerusalem. An einem Fieber, haben seine Männer mir gesagt, aber ich glaube, das war gelogen. Vielleicht war es eine Keilerei unter betrunkenen Helden. Oder ein erzürnter Ehemann. Wer weiß.«
    »Es scheint dich nicht sonderlich zu bekümmern«, stellte er ein wenig pikiert fest.
    »Es ist lange her«, gab sie zurück. »Aber du hast schon ganz recht. Es hat mich nie sonderlich bekümmert. Dein Großvater war ein guter Mann, versteh mich nicht falsch. Nur habe ich nie mehr als pflichtschuldige Zuneigung für ihn aufbringen können, denn mein Herz gehörte König Henry. Ungefähr seit meinem fünften Lebensjahr, glaube ich«, fügte sie mit einem Lächeln

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