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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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hinzu.
    »König Henry …«, wiederholte er und führte den Becher an die Lippen. »Ihm gehörten viele Frauenherzen, wenn ich mich nicht täusche.«
    »Wohl wahr«, ihr Lächeln wurde nachsichtig. »Er war ein unwiderstehlicher Filou. Und ein gewissenloser Verführer. Mir war das gleich. Ich habe nicht erwartet, dass er mich heiratet. Ich wäre vollauf damit zufrieden gewesen, seine Mätresse zu werden.«
    Er verschluckte sich an dem guten Bier. »Madame Großmutter!«, brachte er schockiert hervor, als er aufgehört hatte zu husten.
    Sie deutete ein Achselzucken an. »Ich bin zu alt, um die Wahrheit noch zu beschönigen. Aber mein Vater dachte wie du. Er verheiratete mich mit de Lisieux, etwa ein Jahr bevor Henry König wurde. Vaters Verhältnis zu Henry hat sich für eine Weile merklich abgekühlt. Aber nicht lange.« Sie hielt inne und schien in ihre Erinnerungen versunken. »Nein, nicht lange. Mein Vater hat diesen König sehr geliebt, weißt du. Der erste normannische König, der in England zur Welt kam …«
    »Und … bist du die Mutter meiner Mutter oder meines Vaters?«, fragte er weiter.
    »Deiner Mutter. Ich hatte keine Söhne. Eine schwere Enttäuschung für de Lisieux. Zwei Töchter, das war alles. Na ja. Er war ja auch so gut wie nie daheim. Immer auf dem Kreuzzug. Immer in Outremer . Das war seine große Liebe, mein Junge, so wie König Henry die meine war.« Sie schwieg wieder einen Moment, dann legte sie die linke Hand in einer entschlossenen Geste über die Rechte und fuhr fort: »Deine Mutter war ein bezauberndes Mädchen. Ich hoffe, Gott vergibt mir, aber ich habe sie weitaus mehr geliebt als ihre Schwester. Ihr Name war Adelisa. Und sie hatte die gleichen Augen wie du, mal grün, mal blau. Man konnte es nie genau sagen, wie bei dir. Je nach Licht, je nach Stimmung schienen sie ihre Farbe zu wechseln.«
    »Sie ist tot, nehme ich an.« Er stählte sich.
    Matilda nickte, ihr Blick immer noch in die Ferne gerichtet. Dann schaute sie ihren Enkel wieder an. »Sie starb bei deiner Geburt. Am 25. November werden es siebenundzwanzig Jahre sein. Es war die Nacht, als das White Ship sank.«
    Er erinnerte sich an die Geschichte des Unglücksschiffes, die Simon ihnen in dem niedergebrannten Dorf in den Fens erzählt hatte: Das Schiff war auf dem Rückweg von der Normandie nach England gesunken. Der rechtmäßige Thronfolger war ertrunken, und nur seine Schwester war übrig, um die Krone zu erben. Doch die Lords wählten ihren Cousin Stephen zum König, und so hatte der Bürgerkrieg begonnen, dessen Spuren sie überall gesehen hatten, seit sie von der Insel geflohen waren. Wie eigenartig, dass sein eigenes Leben ausgerechnet in jener Nacht begonnen hatte. Und das seiner Mutter war verloschen. Er entsann sich, dass er bewusstlos zusammengebrochen war, als Simon den Namen des Unglücksschiffes erwähnte. Hatte der Name White Ship an eine Erinnerung gerührt? Und hatte sein Geist sich geweigert, sie zu erkennen, und sich deshalb verfinstert? Eure Erinnerungen sind verschüttet , hatte Josua ben Isaac gesagt. Wir müssen nur danach graben. Es kann lange dauern, bis wir die richtige Stelle finden, wo wir graben müssen. Aber seid versichert, es gibt sie .
    Er fing an, ihm zu glauben. »Und … mein Vater?«, fragte er.
    Lady Matilda schüttelte langsam den Kopf. Sie wirkte erschöpft und kummervoll, und zum ersten Mal konnte er sehen, dass sie in der Tat eine alte Frau war.
    »Es muss schmerzlich für dich sein, an diese Nacht zu denken«, ging ihm auf. »Es tut mir leid.«
    Sie hob abwehrend die Linke. »Ich habe seit meiner Kindheit von diesem Todesschiff geträumt. Und auch König Henry hat davon geträumt, als er noch ein kleiner Prinz war. Es war eine der geheimnisvollen Verbindungen zwischen uns. Ich weiß nicht, was sie zu bedeuten hatte, aber ich weiß dies: Der Untergang dieses Schiffes war vorherbestimmt. So wie alles, was sich in jener Nacht zugetragen hat. Aber es war … so eine furchtbare Katastrophe, Alan. Für so viele Menschen. Der Steuermann war betrunken – genau wie der Kapitän, die Matrosen und alle Passagiere. Sie waren übermütig, denn der Krieg in der Normandie schien gewonnen, und der ganze Hof kehrte nach England zurück. Der Prinz gab Befehl, die Flotte zu überholen, um als Erster die englische Küste zu erreichen. Sie besetzten die Ruder. Aber es war Nacht, und das Wetter war schauderhaft. Noch in Sichtweite des Hafens lief das brandneue, stolze White Ship auf ein Riff auf und

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